„Ich will nicht mehr lesen, dass ich eine Exotin bin!“ – Fränzi Kühne im Gespräch

Interview Fränzi Kühne

Kreativ. Unkonventionell. Mutig. So beschreibt sich Fränzi Kühne, Aufsichtsrätin, Unternehmerin im Bereich Digitalisierung und Autorin auf ihrer Webseite selbst. Mit 25 gründete sie ihr erstes Start-up, die TLGG. 2017 wurde Kühne jüngste Aufsichtsrätin der börsennotierten Freenet AG, seit 2018 berät sie zudem die Württembergische Versicherung. Im Februar 2020 verließ sie ihr Unternehmen, um mit ihrer Familie auf Weltreise zu gehen, wurde jedoch durch die Corona-Pandemie aufgehalten.

TLGG

Im Lockdown entschied sie, ihr erstes Buch zu schreiben und veröffentlichte im Mai 2021 Was Männer nie gefragt werden: Ich frage trotzdem mal. Der Name ist Programm: Kühne stellt Männern die Fragen, die ihr als Frau oft in Interviews gestellt wurden. Von „Ist das Ihr Standardoutfit, Herr Maas?“ hin zu „Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert, dass Sie Vater werden?“ spricht sie mit Männern der verschiedensten Branchen, darunter Musiker Axel Bosse, Politiker Gregor Gysi und Investor Frank Thelen. Ihr Buch ist ein Zeichen für Gleichberechtigung und ein Beitrag zur Diskussion, warum es eine Frauenquote in Unternehmen braucht. Ich habe Fränzi virtuell getroffen und mit ihr gesprochen: Über Stereotypen, Verantwortung und den aktuellen Wahlkampf.

»Ich hoffe, dass das Buch vor allem junge Männer lesen, die sich dann ihrer Verantwortung bewusst werden.«

Fränzi Kühne im Gespräch mit Louisa Dellert, Lou – der Podcast

Waldemar Zeiler sagte zu dir: “Es fehlen Männer, die ihre Macht dafür nutzen, gesellschaftliche Veränderungen voranzutreiben”. Gilt das auch für deine Interviews mit den Männern? 

Ja, na klar. Ich habe das Buch ja geschrieben, um eine Debatte in dem Bereich wieder anzustoßen. Und genau das ist auch passiert. 

Inwiefern?

Es ist keine Debatte mit erhobenem Zeigefinger und “Ihr seid alle doof!”, sondern auf eine Art und Weise, die ein bisschen mehr mit den Augen zwinkert. Ein bisschen humorbelastet und einfach mal wieder in eine andere Richtung. Es ist auch immer eine Frage, wie und zu welchem Anlass man diskutiert. 

Waldemar Zeiler

Waldemar Zeiler ist Gründer und Geschäftsführer des nachhaltigen Unternehmens Einhorn Products, das Verhütungs- und Periodenprodukte herstellt. 2020 erschien außerdem sein Debüt-Roman „Unfuck the economy“ bei Goldmann.

»Ich habe ihnen also erklärt, dass das alles Fragen sind, die mir gestellt wurden.«

Du hast schon oft betont, dass dein Buch eigentlich lustig werden sollte und dich die Idee, den Männern diese Fragen zu stellen, amüsierte. Das Ganze ist dann aber doch sehr tiefgründig und ernsthaft geworden. Wie erklärst du dir, dass es so anders kam als erwartet? 

Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass die Männer die Gespräche alle so ernst nehmen und die Fragen so ernst nehmen. Deshalb dachte ich, es würden viel absurdere Situationen passieren, die letztlich gar nicht kamen, weil die Gespräche so ernst waren und nach kurzer Zeit auch ziemlich emotional. Das fand ich spannend.

Ging das von den Männern aus? 

Ja, die haben so viel gegeben und dadurch wurde es so persönlich. Obwohl wir uns nicht kannten, waren wir uns nach einer Stunde Gespräch schon ziemlich nahe. 

War das von Anfang an so? Wie war dein Eindruck, als du die Männer zum Interview angefragt hast?

Die Männer kannten die Fragen vorher nicht, aber ich habe das Konzept transparent gehalten. Ich habe ihnen also erklärt, dass das alles Fragen sind, die mir gestellt wurden. Ob sie sich dann überlegt haben, was für Fragen das sind, warum ich dieses Buch schreibe – das glaube ich nicht. Vielleicht wurde es auch gerade deshalb so persönlich. 

Du hast ja auch einen ziemlich guten Zeitraum für Interviews abgepasst …

Ja, absolut. Es war mitten im ersten Lockdown und alle hatten Zeit für neue Ideen. Heiko Maas an die Strippe zu kriegen, ging halt auch nur wegen Corona. 

Heiko Maas

Heiko Maas ist Politiker der SPD und Jurist. Seit 2018 ist er Außenminister.

»Man stellt ihnen inhaltliche und fachliche Fragen«

Bist du manchmal neidisch auf die Fragen, die Männern in Interviews gestellt werden? 

(lacht) Ich verspüre selten Neid, deswegen eher nicht. Aber Männer haben eine ganz andere Chance, sich zu präsentieren und zu glänzen – Durch die Fragen, die ihnen gestellt werden. Vor allem stellt man ihnen inhaltliche und fachliche Fragen. Das ist eine Hürde, die Frauen erstmal überwinden müssen, weil es zunächst nur um Äußerlichkeiten geht. Dass Männer gleich die Chance bekommen zu glänzen, ist ein großer Unterschied. 

Ist dein Buch eine Trotzreaktion?

Kann man schon sagen. “Trotzreaktion” ist natürlich recht hart formuliert, aber ich war es ja auch wirklich leid, solche Fragen zu beantworten. Klar, kann man so sagen, es darf nur nicht so stehen bleiben, sondern sollte das beleuchten was dahinter steht. 

Nämlich?

Es zeigt, in welcher Gesellschaft wir leben und wie die Gesellschaft aufgebaut ist, um sowas zuzulassen. Das ist dann die eigentliche Thematik, mehr als meine … – nennen wir es: Trotzreaktion! 

Zu hart?

(lacht) Klingt wie ein kleines Mädchen, das mit dem Fuß aufstampft. Es kann aber auch ein Zeichen sein, dass diese Fragen einfach genug sind und es mal was anderes braucht. 

»Journalistinnen und Journalisten stellen diese Fragen und sind dafür verantwortlich, immer wieder ein Bild zu reproduzieren.«

Im Wahlkampf gibt es aktuell ja auch einige Fragen, bei denen man meinen könnte, es sei genug. Du hast schon oft beantwortet, wie du zu den, teils sehr persönlichen, familiären Fragen stehst, die Annalena Baerbock gestellt werden. Wie würdest du ihr raten, mit diesen umzugehen?

Ich finde die Fragen ja durchaus berechtigt. Ich frage mich ja auch, wie sie das schaffen will mit zwei kleinen Kindern und einer 80-Stunden-Woche, die sie als Kanzlerin hätte. Oder mehr als 80 Stunden – keine Ahnung, wie viel Angela Merkel so arbeitet. (lacht) Es ist also schon eine Frage, die mich auch umtreibt und ich finde sie durchaus berechtigt. Ich finde spannend, dass ihr Mann dann zurückschraubt und ich jetzt weiß, dass er dann morgens die Stullen für die Kinder schmiert. Ich würde ihr also gar nichts raten, weil es mich selbst interessiert. 

Und bei Armin Laschet? 

Wenn er kleine Kinder hätte, würde ich das bei ihm genauso erwarten und mich dafür interessieren, wie er sich das dann vorstellt und wie er das persönlich umsetzt. Hier sollte kein Unterschied gemacht werden – wird aber. 

Annalena Baerbock

Annalena Baerbock ist Politikerin und seit 2018 Bundesvorsitzende der „Die Grünen“. 2021 kandidiert sie bei der Wahl zur Bundeskanzlerin, dabei muss sie sich immer wieder den – fast schon anmaßend persönlichen – Fragen der Journalist:innen stellen.

Armin Laschet

Armin Laschet ist Politiker und seit 2017 Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Seit Januar 2021 ist er Bundesvorsitzender der CDU und kandidiert bei der Bundestagswahl 2021 als Bundeskanzler.

Ist das ein Problem des Journalismus oder ein gesellschaftliches Problem, das die Journalist:innen spiegeln?

Sowohl als auch. Journalistinnen und Journalisten stellen diese Fragen und sind dafür verantwortlich, immer wieder ein Bild zu reproduzieren. Das muss aufhören. Ich weiß, dass ich als junge Frau in meiner Position oft eine Exotin bin, aber ich will nicht immer in den Medien lesen, dass ich jung bin, dieses und jenes trage und eine Ausnahmeerscheinung bin. Das ist genau das, wo sich das Bild verfestigt und Journalistinnen und Journalisten dafür verantwortlich sind, Stereotype zu zeichnen.  Aber das ist auch ein Bild der Gesellschaft, weil diese letztlich so aufgebaut ist, dass das eine Ausnahmeerscheinung ist. Das wird so gesehen, das wollen wir immer wieder lesen. Das muss ein Ende haben. 

Also wärst du im medialen Kontext lieber langweilig?

Absolut! Ich habe verstanden, dass ich als jüngste Aufsichtsrätin, noch dazu aus Ostdeutschland und ohne klassischen Bildungshintergrund, durchaus eine Ausnahmeerscheinung war. Das ist eine Meldung wert, aber dann auch nicht mehr. Heute gibt es viele junge Frauen, die in solchen Positionen sind, über die aber immer noch so berichtet wird. Das Bild reproduziert sich selbst.  

Hast du dafür ein Beispiel?

Wir haben in Deutschland eine Vorständinnen-Quote von 16 Prozent. Das ist nunmal nicht viel. Total lächerlich. Und deshalb wird es aber auch immer so betont und ist immer noch was Besonderes – leider. Glücklicherweise wird das langsam aber besser. Trotzdem ist die Frauenquote noch nicht hoch genug.  

»Ich würde bewusst gegen die Gesprächsatmosphäre arbeiten.«

Was würdest du anders machen, wenn du ein Tag lang Mann wärst?

Uff, da muss ich jetzt mal kurz drüber nachdenken. (lacht) Ich habe mir noch nie vorgestellt, dass ich ein Mann bin. 

Wahrscheinlich würde ich diese Art, die man Männern so gerne nachsagt, dass sie immer nur auf ihren Status gucken und in Männerrunden so übertrieben männlich sind, ändern. Ich wäre als Mann der Gegenpart, den sonst Frauen einnehmen. Dadurch ändert sich ja oft eine Gesprächskultur. Ich würde bewusst gegen die Gesprächsatmosphäre arbeiten. 

Darüber hast du auch im Buch geschrieben …

Ja, das war eine der Fragen: Wie fühlt es sich an, immer in diesen Männerrunden zu sitzen? Das habe ich die Männer gefragt, weil ich das auch gefragt wurde. Also … wie es sich anfühlt, immer in Frauenrunden zu sitzen.Sie sagten, sie wissen gar nicht, wie das anders ist. Sie kennen es nur so. Und weil ich als Mann dann die Erfahrung der Frauen hätte, dass es anders sein kann, würde ich bewusst eine andere Rolle einnehmen. 

Stichwort Softskills?

Ja, Softskills und vor allem andere Werte. Es ginge dann nicht um Status oder darum, sich zu behaupten, sondern mehr um Inhalte und das Wie: Wie werden Sachen gesagt? Wie kommen sie beim Gegenüber an?

»Deutschland ist ein absolutes Entwicklungsland, wenn es um Gleichberechtigung geht!«

Fränzi Kühne im Gespräch mit dem hr-Info Podcast

Und zum Abschluss: Welche Frage sollte dir unbedingt mal gestellt werden? Wer sollte sie stellen?

Ich habe mit Edition F zusammen einen Blogpost veröffentlicht, der sich mit Fragen beschäftigt, die man nutzen kann, damit es in Reportagen und Interviews mehr “menschelt”.  Eine der Fragen lautet: Wie waren Sie als Teenie auf dem Schulhof. Ich glaube, in diesem Alter werden viele Grundlagen gelegt für die spätere Persönlichkeit. Diese Frage würde ich gerne mal in einem Porträt, beispielsweise vom DER SPIEGEL analysiert lesen. 

Also ich würde es sofort lesen! 

Ich auch! (lacht) 


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