#Krimikreuzverhör mit Alex Beer: »Geschichtlicher Kontext ist in meinen Krimis äußerst wichtig«

Interview Alex Beer

Archäologie, Detektivarbeit und Kriminalromane

Alex Beer ist das Pseudonym der Schriftstellerin Daniela Larcher. Sie ist in Bregenz geboren, hat erst Projektmanagement und später Archäologie studiert, in New York gelebt und wohnt seit inzwischen vielen Jahren in Wien. Ihre spannende Krimi-Reihe um den Ermittler August Emmerich ist preisgekrönt. Daneben hat Alex Beer zwei weitere, faszinierende Figuren erschaffen: Isaak Rubinstein im Nürnberg nach dem Zweiten Weltkrieg, Felix Blom im Berlin der Gründerzeit.

Martin Krist und ich haben mit Alex gesprochen – über leichtfüßige Meisterdiebe, zynische Spione und moderne Kriminalistik, die aufwändige Recherche für ihre Bücher und wieso es manchmal schwer ist, starke Frauenfiguren in historische Romane zu schreiben. 

Garry Disher

Übrigens

Dieses #KrimiKreuzverhör habe ich zusammen mit Martin Krist geführt. Auszüge des Gesprächs mit Alex Beer findet ihr in den »Bösen Briefen«, seinem monatlich erscheinenden Krimi-Newsletter. Lest dort für zahlreiche weitere Interviews, Einblicke in seine Autorenwerkstatt, exklusive Buchbesprechungen und vieles mehr unbedingt vorbei!

»Eines Tages kam mir die Idee, es besser zu machen.«

Du bist studierte Archäologin. Wie bist du von dort zur Kriminalliteratur gekommen?

Archäologie und das Lösen von Kriminalfällen sind sich sehr ähnlich. Man muss Spuren suchen, Indizien interpretieren und Schlüsse ziehen. Es geht um Menschen und Verhaltensmuster. Jede Ausgrabung, jede Textanalyse, jede Untersuchung von Artefakten etc. ist Detektivarbeit.

Deine ersten Krimis sind als Daniela Larcher erschienen. Sie spielen im Hier und Heute und heben sich als Cosy-Crime deutlich von deinen späteren, ungleich erfolgreicheren Werken ab? Wie kam es seinerzeit zu Otto Morrell?

Ich lese Krimis seit ich denken kann. Irgendwann hatte ich eine büchertechnische Pechsträhne, in der ich nur Titel erwischte, die mich langweilten und deren Auflösungen völlig vorhersehbar waren. Eines Tages kam mir die (im Nachhinein betrachtet recht vermessene) Idee, es besser zu machen. Der Rest ist – wie man so schön sagt – Geschichte.

War dir als Archäologin klar, dass dein eigentliches Krimi-Spielfeld die historischen Krimis sind? Was bewog dich zur Kehrtwende hin zu August Emmerich, Kriminalinspektor in Wien kurz nach dem Ersten Weltkrieg?

Ich wollte etwas Ernsteres machen, etwas mit Geschichtsbezug und mehr Anspruch. Die Zeit in Wien nach dem Ersten Weltkrieg hat mich schon immer interessiert, weil man (im Vergleich zu anderen Epochen) so wenig darüber weiß. Je mehr ich darüber in Erfahrung gebracht habe, desto faszinierter war ich. Das Wien der 1920er und 1930er Jahre ist völlig anders als das Wien von heute. Es ist eine kaputte Stadt, düster und voll von krimineller Energie. Der perfekte Hintergrund für einen spannenden historischen Krimi.

»Er wird vom jungen, ängstlichen Mann zum mutigen Kämpfer.«

In deiner zweiten Krimi-Serie, »Unter Wölfen«, will Isaak Rubinstein, ein jüdischer Buchhändler in Nürnberg, seine Familie vor der Deportierung retten, schlüpft deshalb in die Rolle eines SS-Sonderermittlers. Du hast erzählt, dass die Rahmenbedingungen auf wahren Begebenheiten beruhen. Abgesehen von der Zeit und den historischen Ereignissen im Allgemeinen – was an Isaak (oder dem Roman) ist noch wahr?

Abgesehen von den Figuren und der Handlung stimmt so gut wie alles. Die Deportation fand tatsächlich genau an jenem Tag statt. Die Menschen wurden schon Tage zuvor abgeholt und in ein Sammellager gebracht. Das Hauptquartier der Gestapo befand sich in dem Gebäude in der Ludwigstraße, die Burg wurde umgebaut, um ranghohe Nazis dort unterzubringen …

War dir von Anfang an klar, dass Isaak am Ende über sich hinaus wachsen muss, eine starke Entscheidung trifft und zurück unter die Wölfe kehrt, dass also eine Serie daraus wird?

Eigentlich nicht. Die Idee kam mir erst ganz zum Schluss. Nicht, weil ich eine neue Reihe starten wollte (»Unter Wölfen« war eigentlich als Standalone geplant), sondern weil Isaak durch die Entscheidung zurückzugehen, seine Wandlung vollendet. Er wird vom ängstlichen jungen Mann zum mutigen Kämpfer.

Unter Wölfen von Alex Beer
Buchcover von »Unter Wölfen« (blanvalet)

Jetzt ist mit »Der Häftling aus Moabit« der erste Teil deiner dritten, historischen Krimi-Serie erschienen, die um den Meisterdieb Felix Blom in Berlin. Ist dir langweilig? 😉

Felix Bloom von Alex Beer
Buchcover des dritten Bandes der Reihe um den Meisterdieb Felix Blom. (Penguin Randomhouse)

Langweilig ist mir leider so gut wie nie, weil mich die Arbeit sehr auf Trab hält. Ich vergleiche das Schreiben gern mit Essen. Ganz egal, wie sehr man eine Speise liebt, man will sie nicht jeden Tag essen. Hie und da braucht man Abwechslung. Genauso geht es mir mit meinen Büchern. Wenn ich viel Zeit mit Emmerich und Winter im Wien der 1920er Jahre verbringe, freue ich mich auf Isaak und das Nürnberg der 1940er bzw. auf Felix und Mathilde im Berlin der 1870er.

Deine neue Serie spielt erstmals in einer Zeit, die nicht von Krieg geprägt ist. Mit Absicht?

Ja, ich brauchte einen Tapetenwechsel. Die anderen beiden Reihen sind sehr düster, die Ermittler zynisch bzw. verzagt. Ich wollte endlich mal in eine Zeit eintauchen, die bunt und fröhlich ist, mit einem leichtfüßigen Ermittler. Das Berlin der Gründerzeit eignet sich dafür besonders gut, wie ich finde. Es ist eine Zeit des schnellen Wandels und rapiden Wachstums, es herrscht Aufbruchstimmung, spannende Erfindungen werden getätigt, es ist eine Epoche voller Chancen.

Auch Felix Blom hat ein reales Vorbild …

Während meiner Recherchen stieß ich auf die unglaubliche Biografie des 1775 geborenen Eugène François Vidocq. Der abenteuerlustige Franzose verdingte sich zunächst als Betrüger, Dieb und Fälscher, und wandelte sich im Laufe seines Lebens vom gerissenen Gauner zum Vater der modernen Kriminalistik und dem ersten Privatdetektiv der Geschichte. Er inspirierte mich zu der Figur des Felix Blom, einem charmanten Ganoven, der zum Ermittler wird.

Seine Partnerin, Mathilde Voss, eine Zigarre rauchende Ex-Prostituierte als Privatdetektivin, ist eine – für jene Zeit – ungewöhnliche Frauenfigur. Wer hat dich dazu inspiriert?

Ich wollte schon lange eine starke Frauenfigur schreiben. Bisher war das sehr schwer, da die Emmerich-Reihe im Polizeiumfeld spielt und damals dort keine Frauen beschäftigt waren. Auch im Dritten Reich wäre eine weibliche Ermittlerin nicht sehr realistisch gewesen (ich halte mich gern an historische Fakten und Rahmenbedingungen). Beim Recherchieren für Felix Blom bin ich auf den Spruch »Huren und Verbrecher sind Geschwisterkinder« gestoßen. Das hat den Ausschlag gegeben.

© Pamela Rußmann

»Die Figuren müssen in die jeweilige Zeit passen.«

Drei verschiedene Zeiten, über die du mehr oder weniger regelmäßig schreibst – wir stellen uns die Recherche jedesmal sehr aufwendig vor. Kommst du manchmal durcheinander, gerade was die Begebenheiten der jeweiligen Zeit betrifft?

Eigentlich nicht. Sobald ich ein neues Buch beginne, lese ich mich kurz ein und bin dann schnell wieder in der jeweiligen Zeit.

Glaubst du, es ist (deshalb) wichtig, dass deine Figuren, je nach Epoche, unterschiedlich angelegt sind? Warum?

Ich finde, die Figuren müssen in die jeweilige Zeit passen. Und da die Epochen sehr unterschiedlich sind, sind auch die Hauptfiguren sehr verschieden geworden.

Gibt es eine historische Epoche oder ein historisches Thema, über das du gerne noch schreiben würdest?

Da gibt es sehr viel. Ich habe eine tolle Story in der Schublade, die im Viktorianischen England spielt. Auch den Kalten Krieg finde ich spannend oder die Zeit der Völkerwanderung.

Oder gar ein gänzlich anderes Genre?

Ich hätte ein paar zeitgenössische Krimis/Thriller in petto, eine Crime-Comedy und einen Feelgood-Roman. Leider fehlt mir hinten und vorne die Zeit, die Ideen alle umzusetzen.

»Wie ist das Wetter, die politische Situation, gibt es Skandale oder andere Ereignisse ...«

Was macht für dich einen guten Krimi aus?

Ein guter Krimi besteht aus vielen Zutaten: interessanten Charakteren, Logik, einem stringenten Spannungsbogen, guter Recherche, atmosphärischen Beschreibungen, authentischen Dialogen, gutem Stil und dem »gewissen Etwas«.

Alle drei Serien sind in hohem Tempo erzählt, die Geschichten leben von Dialogen, diese treiben die Handlung voran. Wie wichtig ist dir – bei einem Krimi, der per se von Spannung lebt – überhaupt geschichtlicher Kontext? Oder ist es nur ein Mittel zum Zweck?

Bei einem historischen Roman ist mir der geschichtliche Kontext äußerst wichtig. Ich versuche stets, die Hintergründe so korrekt und authentisch darzustellen, die Handlung wird dann in diesen Rahmen eingebettet.

Wie dürfen wir uns deine Arbeit vorstellen? Plottest du vorab?

Erst lege ich fest, an welchen Tagen der Roman spielen soll. Anschließend recherchiere ich so viele Details wie möglich (Wetter, politische Situation, Skandale und andere Ereignisse …). Dann wird geplottet und sobald die Handlung steht, beginne ich mit dem Schreiben. Während des Schreibprozesses ändert sich aber oft noch Vieles. Manche Dinge, die ich beim Plotten für eine gute Idee hielt, funktionieren nicht, Charaktere verselbständigen sich etc.

 

 

Wie viel Zeit geht für Recherche drauf?

Vorab mindestens ein Monat. Damit ist es aber natürlich nicht getan. Während dem Schreiben muss ich immer wieder Details nachschlagen.

Wie lange brauchst du, um ein Kapitel zu schreiben?

Manchmal Stunden, manchmal Tage. Außerdem muss ich meine Kapitel wieder und wieder überarbeiten.

 

Alex Beer
© Ian Ehm

Welchen deiner Roman empfiehlst du unseren Leser:innen für den Einstieg, womit sollten sie beginnen, wenn sie Alex Beer kennenlernen wollen?

Auf jeden Fall den jeweils ersten Band der Reihe:

»Der zweite Reiter« (Emmerich-Reihe, Wien 1920er)

»Unter Wölfen« (Isaak-Rubinstein-Reihe, Nürnberg 1942)

»Felix Blom. Der Häftling aus Moabit« (Blom-Reihe, Berlin 1870er)

Ihr seid neugierig geworden und möchtet ein Buch von Alex Beer lesen? 

Sie veröffentlicht bei Penguin Random House.

Einen Überblick ihrer Werke findet ihr hier: 

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