Musicaldarstellerin Yasmina Hempel: “Romeo & Julia bringen sich nicht aus Liebe zueinander um.”

Interview mit Yasmina Hempel

Stereotypisierung von Frauen, die Rolle von Julia und der Weg zur Musicaldarstellerin

Montag, 16.01.2023, Berlin. Ich sitze in einem Café unter dem Fernsehturm und warte auf Yasmina Hempel. Sie ist Musicaldarstellerin und wird ab dem 19. März 2023 die Rolle der Julia in ROMEO & JULIA, dem neuen Stück von Peter Plate und Ulf Leo Sommer im Theater des Westens spielen. Romeo Montague und Julia Capulet verlieben sich ineinander, während ihre Familien sich bis aufs Blut bekriegen. Das schönste Liebesdrama, das jemals für die Bühne geschrieben wurde, beginnt. 

 Zum ersten Mal gesehen habe ich Yasmina im September bei der Pressekonferenz zum Stück – gemeinsam mit ihren Kolleg:innen hat sie vorab schon mal über die Inszenierung gesprochen und vor allem ein paar musikalische Eindrücke gegeben. Ich wollte aber mehr wissen – zu ihrer Rolle und ihrer Person – und habe sie gefragt, ob sie und ihr Spielpartner des Romeos,  Paul Csitkovics, Lust auf eine kleine, begleitende Interviewreihe haben. Die Proben beginnen am 23. Januar, bereits vorab habe ich mit Yasmina gesprochen. Über ihr Ensuite-Debüt und Erwartungsdruck, über die Stereotypisierung von Frauenrollen auf der Bühne und ihre Interpretation der Julia und darüber, dass ROMEO & JULIA vielleicht nicht die größte Liebesgeschichte aller Zeiten ist.  

Übrigens

Ich habe auch ein Interview mit Paul Csitkovics geführt, die in ROMEO UND JULIA die Rolle des Romeos spielen wird. 

»Ich mag an Romeo und Julia, dass sie so direkt kommunizieren.«

Welche Erwartungen hast du an ROMEO & JULIA – Liebe ist alles?

Ich glaube, ich habe noch gar keine Erwartungen. Ich finde das Stück so cool und ich finde den Kontrast zwischen den klassischen Texten und der modernen Musik so spannend und freue mich einfach darauf, das zu erarbeiten und es zu lernen. Und am Ende was Schönes daraus zu machen. Ich hoffe einfach, dass es eine schöne Probenzeit wird, dass das Team gut zusammen funktioniert und dass wir alle eine ähnliche Vision haben und an einem Strang ziehen.

Wie gehst du an deine Rolle der Julia ran? Ich habe mich eingelesen und Julia ist ja eigentlich dreizehn Jahre alt. Also noch ein Kind. Das finde ich extrem schwierig zu spielen. 

Ja, das ist es! Sie sind eigentlich beide Kinder. Romeo ist vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Im Musical sind sie etwas älter, so zwischen sechzehn und achtzehn. Wenn ich mir heute Dreizehnjährige anschaue, sind die sehr frühreif und definitiv anders als ich mit dreizehn war. Sie sehen auch anders aus. Wie gehe ich da ran? Lesen und denken. Ich habe, als ich die Einladung zur Audition bekommen habe, nochmal in die Schlegel-Übersetzung [die bekannteste deutschsprachige Übersetzung des Stückes schrieb August Wilhelm Schlegel. Anm.d.Red.] reingelesen  und habe versucht, mehr über die Figur der Julia herauszufinden. Und habe gar nicht mal so viel gefunden.

Nicht? 

Julia ist im Stück eigentlich sehr passiv. Sie macht ganz lange nicht viel. Sie hockt auf ihrem Zimmer und lässt die Amme ihre ganzen Botschaften für sie in die Welt hinaustragen. Sie wird erst aktiv als sie hört, dass Romeo verbannt wurde. Dann ist sie so verzweifelt, dass sie unbedingt eine Lösung finden will und zum Pater Lorenzo geht. 

Sie ist eine Frau ihrer Zeit. 

Genau, und das finde ich extrem schwierig. Ich mag aber an Romeo und Julia, dass sie so direkt kommunizieren. Sie sagen immer, was in ihnen vorgeht. Vor allem in der Balkonszene. Das finde ich schön und erfrischend, weil – also ich will hier keine Gesellschaftsdebatte aufmachen… 

Aber ich bitte drum!

…  irgendwie wird das immer seltener. Man schämt sich für so große Verliebtheits-Gefühle. Oft ist es so »Nee, ich antworte erst in ein paar Stunden. Ich ghoste und bin erst mal unerreichbar …« Mach dich rar und so. Die beiden machen das maximale Gegenteil. Julia sagt, sie schickt morgen um neun Uhr jemanden – und dann wird geheiratet.

Yasmina Hempel Romeo & Julia Musical
© Daniel Nartschick

Yasmina Hempel

wurde 1999 in Berlin geboren. Erste Bühnenerfahrung sammelte sie im Kindermusicaltheater Berlin e.V., bevor sie mit fünfzehn Jahren in das Junge Ensemble des Friedrichstadtpalastes eintritt. Ihre anschließende Ausbildung zur Musicaldarstellerin absolvierte sie in Essen an der Folkwang Universität der Künste. Bereits während ihres Studiums wirkte sie in Produktionen wie HIMMEL UND KÖLLE mit. ROMEO & JULIA in Berlin ist ihre erste Ensuite-Produktion.

»Sie darf Romeo nicht haben, das macht ihn sicherlich nochmal hotter«

Sie denken die ganze Zeit, sie haben die große Liebe gefunden und dabei weiß man gar nicht, ob es das wirklich ist. 

Jaaa, genau! Die Geschichte erzählt nur von den vier oder fünf letzten Tagen der beiden. Natürlich nehme ich Julia ernst. Ich traue den beiden zu, dass sie sich sehen und wissen: das ist der Mensch, mit dem ich mein Leben verbringen werde. Beide sind extrem verliebt und natürlich ist Verliebtheit eine Komponente der Liebe. Aber ich denke, eine große, gute und beständige Liebe beweist sich durch Zeit, Vertrauen und gemeinsame Erfahrungen. Romeo und Julia haben diese Zeit nicht, deshalb finde ich es schwierig, eindeutig zu sagen, ob das, was die beiden haben, Liebe ist oder nicht. Wenn beide am Leben bleiben würden, kann ich mir vorstellen, dass sie das Leben in Mantua gut hinbekommen und ewig zusammenbleiben. Und auch wenn sie nach ein paar Jahren entscheiden, dass sie doch nicht zusammen bleiben wollen, schmälert das die Liebe ja nicht.

Ich finde aber nicht, dass die beiden sich aus Liebe zueinander umbringen, sondern aus Perspektivlosigkeit und Verzweiflung. Sie haben nichts mehr außer sich. Es gibt im dritten Akt eine Szene, in der Julias Eltern reinkommen und ihr sagen, dass sie Graf Paris heiraten wird. Julia hat vorher erfahren, dass Tybalt tot und Romeo verbannt ist und die Eltern reden nur von der Hochzeit. Der Vater macht sie so krass fertig: »Du heiratest den, und wenn nicht, dann stirb auf der Straße.« Dann sucht sie Trost bei ihrer Mutter und die sagt, sie geht sie nichts mehr an. Julia sucht nach einer Lösung, um mit Romeo zusammen zu sein, sonst, sagt sie, habe sie nur noch Kraft zum Sterben. 

Das heißt, sie heiratet Romeo eigentlich nur, um ihrer Familie zu entkommen, oder?

Ja, das ist ein Aspekt davon. Und ich glaube, es ist auch der Fakt, dass er ein Montague ist und sie ihn nicht haben darf, dadurch ist es nochmal ein bisschen verlockender, aufregender und hotter. (lacht) In einem Song singt sie ja auch »Warum ist das Schönste immer verboten«. Die sind beide auch total pubertär. Wenn etwas verboten ist, machen sie es fünfmal – und fünfmal so doll.

Wenn du sagst, du bist als Julia passiv – spielst du dann mehr als du sagst? 

Das ist eine gute Frage. Das kann ich noch gar nicht so einschätzen. Was ich auf jeden Fall sagen kann, dass Julia nicht so viel Text hat, bevor sie Romeo trifft. Natürlich handelt das Stück davon, dass die beiden sich kennenlernen, aber man lernt Julia im Vorfeld kaum kennen. Da muss ich gucken, was ich spielen und etablieren will. Was ich will, was man über Julia weiß – unabhängig von Romeo.

 

Yasmina Hempel Interview
© Daniel Nartschick

»Julia ist eine Punkerin, sie ist rebellisch und burschikos«

Was soll man über Julia wissen? 

Ich mache mir natürlich Gedanken. Ich weiß nicht, ob das am Ende herauskommt … 

Deshalb unterhalten wir uns ja auch vor den Proben. 

Es ist wichtig, dass klar ist, dass sie eingesperrt ist. Dass sie nicht alleine zuhause rumsitzt, weil sie keinen Bock hat. Sie ist ein junges Mädchen, das um Kontrolle und Autonomie kämpft. In der Balkonszene sagt sie, als sie Romeo entdeckt: »Bist du nicht Romeo, ein Montague? Wie kamst du her, die Mauer ist hoch und schwer zu erklimmen.« Als ich das gelesen habe, dachte ich, dass sie bestimmt versucht hat, die Mauer zu übersteigen und es wahrscheinlich nicht geklappt hat. Das wäre mir wichtig, das finde ich einen richtigen Ansatz. 

Julia ist außerdem nicht auf der Suche nach der Liebe. Als ihre Eltern ihr erzählen, dass sie Graf Paris heiraten soll, sagt sie: »Ich hab’ an Ehe bisher nie gedacht«, und ich glaube, das ist die Wahrheit. Und dann kommt Romeo und knackt sie und sie sehen plötzlich etwas ineinander, was ihnen beiden gefehlt hat. 

Er ist auch der erste Typ in ihrem Alter, den sie kennenlernt, oder? 

Ja, stimmt! Das hab ich bisher gar nicht gesehen. Romeo ist der erste Mann in ihrem Alter. 

Der ist anfangs aber die laufende Melancholie. Der hockt traurig im Wald und weint um Rosalinde. Das macht es auch so viel lustiger, dass er so todunglücklich ist und für Rosalinde sterben würde. Und dann trifft er Julia und weiß plötzlich, dass er sie heiraten will (lacht). Er geht zu Pater Lorenzo und sagt ihm: »Du musst mich verheiraten, die ist so toll …«. Und der Pater sagt nur: »Ach Rosalinde liebt dich doch«, und er so: »Hä? Rosalinde? Wer ist das? «Nein, ich habe ’ne Neue gefunden –  Julia.» Das ist echt lustig und auch so süß. Und ich glaube denen, wenn sie sagen, sie gehen in die Welt und sie sehen nur sich. 

Das spielst du dann auch genau so? 

Ja! Natürlich! (lacht).  Ein Leben ohne ihn ist nicht lebenswert. Ich habe niemanden mehr auf meiner Seite außer Romeo. Und wenn der tot neben mir liegt, dann gibt es nichts anderes. 

Gibt es dann nicht den Moment, in dem sie nochmal darüber nachdenkt?

Sie ist sich sehr sicher. Es gibt ja den Plan mit dem Pseudogift – also, das heißt nicht wirklich Pseudogift, aber ich nenne es so. Sie sieht dann  zwei Tage lang tot aus, wacht dann wieder auf und flieht gemeinsam mit Romeo. Bevor sie das trinkt, hat sie im Buch einen Monolog, bei uns ist das ein Song. Das Lied heißt »Ich habe keine Angst» – natürlich hat sie Angst. Sie riskiert und verliert ja alles. Was Ulf und Peter über die Rolle sagen ist, dass sie eine Punkerin ist. Dass sie rebellisch und burschikos ist und nicht niedlich und süß. Wenn man das Stück so liest, findet man das auch. 

 

Gutes Stichwort. Das Stück bleibt konsequent beim klassischen Text, oder?

Ja! Es ist so, so toll. Es ist eine gestrichene Fassung und es gibt auch viele Lieder, sonst würde es sechs Stunden dauern. Aber ja, es reimt sich. Und das ist so wunderschön. Das macht mich richtig glücklich! Das ist aber auch eine Herausforderung. Man muss genau denken und genau die Nuancen sehen. Es ist gut, dass es einen Rhythmus hat und man merkt sofort, wenn man da rausfällt. Also wenn da «grad» statt »gerade« steht, dann muss man das auch so sagen. 

© Daniel Nartschick

»Ich habe eine so berührende Nachricht von meiner Grundschullehrerin bekommen. Sie hat mich gefragt, was aus meinen Träumen geworden ist. Ich weiß gar nicht, was ich antworten soll. Weil … irgendwie glaube ich, es ist wahr geworden.«

Ulf Leo Sommer hat bei der Pressekonferenz erzählt, dass sie einen langen Castingtag hatten und es über tausend Bewerberinnen für Julia gab. Du kamst ganz am Ende rein und er wusste sofort, dass du Julia bist. 

Ja, das habe ich bei der Pressekonferenz das erste Mal gehört und war extrem überrascht. Das war von Anfang an so toll, weil sie auf mich zugekommen sind. Ich hatte plötzlich eine Mail von der Casterin im Posteingang, und ich weiß immer noch nicht, was sie von mir gesehen hat oder woher sie mich kennt. Vielleicht, weil ich gerade meinen Abschluss gemacht habe oder so. Ich habe das gelesen und wollte unbedingt dafür vorsprechen. Das war auch etwas entspannter, weil ich wusste, dass sie wirklich Interesse an mir haben. Ich habe dann in der Audition gezeigt, wie ich es spielen und singen würde und war einfach ich selbst. Das war wirklich schön, weil ich das Gefühl hatte, ich verstehe, was sie von mir wollen und wie ich das umsetzen kann. Ich bin dann rausgegangen und hatte ein wirklich gutes Gefühl. Klar, man weiß nie, welche Faktoren da noch reinspielen, aber ich war mit mir wirklich zufrieden. Anderthalb Wochen später habe ich dann den Anruf und die Zusage für die Erstbesetzung bekommen. 

 

Wie war dieser Moment? Das ist ja deine erste Ensuite-Produktion [Ensuite = Show, die acht Mal pro Woche gespielt wird]. 

Unbeschreiblich. Ich habe erstmal nur gelacht, weil ich nicht glauben konnte, dass das wirklich passiert. Ich habe ja auch in HIMMEL UND KÖLLE  gespielt, das war immer in Blöcken, auch mal ein paar Wochen am Stück, aber dann auch wieder mit zwei Wochen Pause dazwischen. Ich spiele jetzt erstmals eine Neukreation, darf eine Figur entwickeln und spiele acht Shows pro Woche. Unglaublich, oder? 

(lacht) Ja, voll! Wie bereitest du dich auf Ensuite vor? 

Beten (lacht). Ich habe da sehr großen Respekt vor. Nach dem Studium macht man sich Gedanken, was man gerne spielen möchte und ich weiß noch, dass ich immer gesagt habe, dass Ensuite nichts für mich ist. Ich habe mich eher an Stadttheatern gesehen und dachte, ich habe vielleicht auch mehrere Projekte, immer ein paar Mal im Monat. Und jetzt habe ich keine Wahl, jetzt muss ich acht Shows pro Woche spielen. 

Wird es schwer, jeden Abend frisch verliebt zu sein? 

Bestimmt, aber genau das macht ja auch so Spaß! Aber dann die Augen zu öffnen und die Liebe deines Lebens liegt tot neben dir… Das muss mich ja jeden Abend aufs Neue überraschen.

»Man ist immer einen Anruf oder eine E-Mail davon entfernt, dass sich alles ändert.«

Nochmal zu dir und deinem Werdegang. Du hast schon einiges gespielt. Unter anderem GOETHE! in Bad Hersfeld. Wie war das? 

GOETHE! war nicht so klassisch. Da gab es Ausschnitte originaler Texte und Gedichte, die verarbeitet wurden, aber die Dialoge waren viel moderner. Und da war meine Position auch eine andere, ich war Swing. Das war eine ganz andere Herausforderung. Es war eine Wiederaufnahme ohne intensive Probenzeit. Mein Fokus war dort vor allem, meine sechs Tracks reinzukriegen. Das musste ich lernen und da musste ich mir das auch alles ganz anders aufschreiben und schauen, wie ich mich auf die Proben vorbereite und die Konzentration beibehalte. Jetzt habe ich den Luxus, mich richtig mit den Figuren, Situationen, der Zeit auseinanderzusetzen. 

Und dann hast du auch in HIMMEL UND KÖLLE gespielt. Wie kam das? 

Über den Regieprofessor an der Uni. Der war im Team. Ssie haben eine neue Coverposition gesucht und er hat mich gefragt, ob ich das machen würde. Ich habe das dann gelernt und bin ab und an eingesprungen. Und dann hat eine Kollegin die Produktion verlassen und es war ein Platz für mich und ich war fest auf einer Position. 

 

Was hat dir der Job bisher beigebracht? 

Man ist immer einen Anruf oder eine E-Mail entfernt, dass sich alles verändert. Am Ende des Studiums dachte ich, dass ich das nicht schaffe. Ich habe Castings gemacht und es hat nichts geklappt. Es ist einfach auch Glück. Auch, dass sie mich in Julia gesehen haben. Ich will es nicht von mir weisen, natürlich würde man mich nicht besetzen, wenn man mir das nicht zutrauen würde, aber es ist eben auch Glück. Man hat so wenig Kontrolle. Und das ist für mich auch eine Aufgabe, wie ich das hinkriege, dass ich nicht so ausgeliefert bin. Zum Beispiel wenn ich Castings mache. Natürlich bin ich auf den Job angewiesen, aber ich will auch nicht nur deshalb Künstlerin sein und mich weiter mit Dingen beschäftigen, die mir Spaß machen. Mir das zu ermöglichen – zu singen und zu spielen, was ich will, das will ich erreichen. 

© Daniel Nartschick

Ich glaube auch, dass unsere Generation da manchmal ein bisschen anders denkt und glaube, das auch im Musical erkennen zu können. Die jungen Leute auf und vor der Bühne haben öfter noch mehr internationale Bezüge und sind irgendwie offener. 

Ja, das könnte echt so sein. Ich glaube zwar, dass es das auch im älteren Kolleg:innenkreis gibt, aber die jungen Menschen kriegen jetzt auch Stücke wie HAMILTON oder DEAR EVAN HANSEN mit. Es gab Leute, mit denen ich Abi gemacht habe, die nichts mit Musical zu tun hatten, die aber Hamilton kennen. Musical hat auch oft noch einen schlechten Ruf. Obwohl es für jeden Musikgeschmack und zu jedem Thema ein Musical gibt. Es gibt auch so viele tolle Off-Broadway-Stücke, die man in Deutschland einfach nicht kennt.

Wäre das etwas, das du am Musical in Deutschland gerne ändern würdest? 

Ja, unbedingt. Ich würde sehr gerne entscheiden, welche Stücke gemacht werden und wie die besetzt werden. Ich weiß nicht, wie realistisch das ist (lacht). Woran ich mal gedacht habe – ich bin ein ganz großer Fan von Stephen Sondheim – wäre eine Sondheim-Company, quasi adäquat zur Shakespeare-Company hier in Berlin. Ich liebe die Musik und die Stücke, die er schreibt so sehr. Außerdem würde ich so gerne NEXT TO NORMAL machen, RENT, THE BRIDGES OF MADISON COUNTY – liebe ich!

Ha, in dein Theater komme ich. 

Sehr gut, eine Zuschauerin haben wir schon – bring deine Freund:innen mit! (lacht) 

Gerade höre ich auch wieder ganz viel DOGFIGHT, THE LAST FIVE YEARS, PARADE. Von Sondheim würde ich natürlich INTO THE WOODS, COMPANY, SUNDAY IN THE PARK WITH GEORGE, oder auch SWEENEY TODD machen. 

Letzteres hab ich kürzlich in einer großartigen Inszenierung in Hannover gesehen. Ganz toll! 

Ich höre das manchmal in der U-Bahn und denke mir dann immer: »Wenn die Leute wüssten, was ich hier für weirde, abgespacte Musik höre, die würden mich so komisch angucken.« (lacht). 

»Unterhalten Sie sich über etwas anderes als einen Mann?«

Jetzt hast du gerade die Shakespeare Company angesprochen. Es gibt ja wirklich viele Romeo und Julia-Adaptionen und auch schon einige Musicals – Wien hat es gespielt, am West End und Broadway gab es diverse Inszenierungen. Was glaubst du, ist das Neue an dieser Romeo und Julia-Inszenierung? Kann man das Rad wirklich nochmal neu erfinden? 

Nö (lacht). Nein, im Ernst, ich glaube nicht. Die Geschichte kennt jede:r, man weiß, worauf es hinausläuft. Man kann nur gucken, was für einen anderen Blick man darauf schaffen kann und wie man die Figuren neu inszenieren, wofür man Platz schaffen kann. Zum Beispiel die Liebesgeschichte zwischen Mercutio und Romeo, dass man sich entscheidet, die ausführlicher und direkter zu erzählen. 

Mercutio ist also eindeutig in Romeo verknallt? Das ist ja immer eine Interpretationssache …

Ja, auf jeden Fall. Mercutio liebt Romeo auch. Wenn man zwischen den Zeilen bei Shakespeare liest, dann liest man das raus. Wenn Mercutio von seinen schlimmen Träumen erzählt, merkt man das. Aber im Musical wird da noch mehr Raum für diese Geschichte geschaffen. 

Und das, glaube ich, wird für viele sehr unerwartet kommen. Dass Shakespeare das tatsächlich so geschrieben hat. Generell auch, dass er so explizit, so … extrem versaut ist. 

Ja, das ist so unglaublich sexuell! Gar nicht nur die Liebesgeschichte(n), sondern vor allem bei den Straßenkämpfen. Da gibt es ewige Anspielungen an den Degen und wo sie ihn reinstecken wollen, wo der was durchbohrt, … unglaublich. 

Ich habe auch einen Trailer des Stückes mit vertauschten Rollen gesehen, in dem Julia männlich besetzt wurde und Romeo von einer Frau gespielt.  Der Mann meinte, dass es für ihn ungewohnt ist, so eine passive Rolle zu spielen. Er sei es eher gewohnt, aktivere und tatkräftige Rollen zu spielen. Für ihn war das eine Herausforderung, so passiv zu sein. 

Und umgekehrt war es für sie vermutlich schwieriger, eine aktive und fordernde Rolle zu spielen. Es ist ja leider nachgewiesen, dass Frauen oft weniger Texte haben.

Ja, es gibt drei Fragen, die man stellen soll, wenn frau irgendwo eine Rolle spielt: 1. Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? 2. Sprechen sie miteinander? 3. Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann? ROMEO & JULIA schneidet da gar nicht mal so gut ab. Es gibt nicht wirklich viele Frauenrollen. 

Der Bechdel-Test ist ein nicht-wissenschaftlicher Test, der erstmals 1985 von der amerikanischen Künstlerin Alice Bechdel durchgeführt wurde und die Stereotypisierung von weiblichen Figuren in Spielfilmen untersucht. Eine Studie der San Diego State University hatte ergeben, dass in den Top 500 Filmen von 2007 bis 2012 nur ein Drittel der Figuren weiblich besetzt wurde. 2014 waren in den einhundert umsatzstärksten Filmen sogar nur etwa 12 Prozent der Protagonist:innen weiblich. Der Test dient als einfaches, statistisches Hilfsmittel, ist jedoch kein Indikator dafür, dass einzelne Filme (nicht) sexistisch sind.

Die Amme, Lady Capulet und Julia. 

Ja, genau. Und das war’s. Drei Frauen und viele Männer. Das finde ich auch wirklich krass. Natürlich kann man besetzungstechnisch variieren – wir haben ja auch ein Ensemble von Tänzerinnen und es stehen schon mehr Frauen auf der Bühne, aber unterm Strich reden drei Frauen. Julia singt viel, wodurch ihre Redezeit aufgestockt ist, Man kann ja auch nicht zehn Frauen dazu schreiben, wenn man sich an die klassischen Texte halten möchte. Deshalb ist umso wichtiger, dass man Julia heute noch nachvollziehen kann, dass sie nicht nur Opfer der Situation ist. 

Dazu updaten wir uns dann in zwei Monaten. 

Unbedingt! Ich freue mich jetzt schon drauf!

Ihr seid neugierig geworden und möchtet das Musical besuchen?

Hier könnt ihr Tickets kaufen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert