»Romeo & Julia« im Theater des Westens: Shakespeare trifft Broadway – und das mitten in Berlin!

Romeo und Julia - Liebe ist alles in Berlin

Kann man auf diesen oft ausgegrabenen und viel zitierten Stoff von Shakespeare wirklich noch einen neuen Blick werfen? Ja, kann man. »Liebe, Sex und Tod« sind die großen Themen des Komponisten-Duos Peter Plate und Ulf Leo Sommer – auch in ihrem neuen Musical ROMEO UND JULIA – LIEBE IST ALLES. Okay, und Hormone – aber dazu gleich mehr. 

Es spielte am 17. und 18.03.2023 das Ensemble von ROMEO & JULIA – LIEBE IST ALLES das Musical im Theater des Westens in Berlin unter Regie von Christoph Drewitz, Choreografie von Jonathan Huor nach einem Stück von Peter Plate und Ulf Leo Sommer. Ich bedanke mich an dieser Stelle für die Einladung zur Medienpremiere und die Bereitstellung der Pressekarten. 

Sitzplatzempfehlung: Bis Reihe 15, Platz 1 
Geheimtipp: im I. oder II. Rang, weiter vorne (Achtung, ihr solltet schwindelfrei sein!)

Erst war das Wort, dann kam der Streit und dann der Krieg.

2014 bat eine Schauspielerin das Rosenstolz-Urgestein, ein paar Lieder für eine Inszenierung von »Romeo & Julia« am Theater Kiel zu schreiben. Das war die erste Berührung der beiden mit dem Genre Musical – und mit einer Shakespeare-Tragödie. Auch drei Jahre später ließ sie das Stück nicht los. 2017 gab es einen Workshop der Show und weitere sechs Jahre später feiert das Musical ROMEO & JULIA – LIEBE IST ALLES das Musical Uraufführung im Theater des Westens. Musik und Lieder stammen von Plate und Sommer, der Text ist die originale, gekürzte Übersetzung des Klassikers von August Wilhelm Schlegel. 

Romeo und Julia in Berlin im Theater des Westens
© Jörn Hartmann

Seit jeher herrscht in Verona ein erbitterter Krieg zwischen den Familien Capulet und Montague. Auf einem Ball trifft Romeo, einziger Sohn der Montagues, auf Julia, die schöne Tochter der Capulets und verliebt sich unsterblich in sie. Allen Konventionen zum Trotz lassen sie sich nur wenige Tage später vom Pater Lorenzo trauen. Jedoch eskaliert der Streit der Familien, als Julias Cousin Tybalt Romeos besten Freund Mercutio umbringt, Romeo diesen rächt und aus der Stadt verbannt wird. Ist Romeos und Julias Liebe stärker als diese Tragödie?

Ach, Zeit bleib doch steh’n, nur dieser Moment, für immer.

»Man kann mit dem Ende erst den Anfang klarer seh’n«, und deshalb beginnt die Geschichte auch genau dort und wird in einer großen Rückblende erzählt. Was mir nicht klar war: dass Shakespeare eigentlich eine Tragikomödie geschrieben hat und der erste Akt vor ironischem, doppeldeutigen Wortwitz nur so strotzt. Auf ein fulminantes Opening folgt ein schwer verliebter Romeo, der, im Selbstmitleid badend, um seine verflossene Liebe Rosalinde weint, bis er Julia kennenlernt und plötzlich unsterblich in sie verliebt ist. Allein diese und alle darauffolgenden, teils betont überzogenen, Darstellungen machen das Stück lebendig und nehmen dem klassischen Text seine Schwere und Deutungshoheit. So eine Balkonszene habt ihr noch nicht gesehen –da wurde aus dem Text wirklich alles rausgeholt und damit wirklich jeder Satz verständlich. Im zweiten Akt wird es jedoch zunehmend trauriger und immer aussichtsloser. Die Uhr tickt unerbittlich und die Zeit bleibt nicht stehen, obwohl Julia es sich doch so sehr wünscht. Bis dann in aller Stringenz kommt, was unweigerlich kommen muss.

Julia und Romeo
© Stage Entertainment
Romeo und JUlia Musical Berlin
© Jörn Hartmann

Wir sind die einen, wir sind Verona, wir sind das Blut.

Diesen Bogen zu spielen und eine bekannte, und aus heutiger Sicht inhaltlich doch etwas dürftige, Geschichte sinnhaft und neu zu erzählen, das erfordert Timing. Dass dieses Kreativteam das draufhat, haben sie in der Kombination bereits bewiesen. Auch dieses Stück trägt die eindeutige Handschrift von Drewitz’ schnellen Anschlüssen und seinem Gespür für Momente, die den Zuschauenden fordern – die Todesszene im Saal kaum auszuhalten und hat genau deshalb genau die richtige Emotion hervorgerufen. Andrew D. Edwards kleidet die Figuren in urbanen und modernen, teils aber auch typisch viktorianischen Gewändern. 

Tim Deiling zeichnet sich für das spektakuläre Lichtdesign verantwortlich, das die einfach gehaltene, aber durch die genutzte Drehbühne und den industriell-altertümlichen Look trotzdem sehr besondere, Bühne perfekt in Szene setzt. Huor belebt ebendiese mit modernen Choreografien, die Musical mit wunderschönem Contemporary vereinen und Plate und Sommer umrahmen mit Musik, die nicht nur nach »Rosenstolz« klingt.  Im Gegenteil, sie haben sich erneut in ein musikalisch neues Gebiet gewagt und dem Counter-Tenor Nils Wanderer die Rolle des Todesengels auf den Leib geschrieben. Nicht nur, dass Wanderer ein begnadeter Sänger ist, der mich zuverlässig zu Tränen rührt, er zeigt auch, wie einfach man Pop und elektrische Musik mit klassischem Gesang kombinieren kann.

Als Todesengel hält er die Fäden in der Hand und führt gemeinsam mit Pater Lorenzo, gespielt von Anthony Curtis Kirby, durch die Geschichte. Letzterer fungiert als Erzähler und entscheidender Dreh- und Angelpunkt. Kirby spielt dabei seine eigene Interpretation des ursprünglich streng christlichen Bruders. Kirche wird in diesem Stück eindeutig als Glaube an Natur, Menschheit, Güte und die eigene Kraft interpretiert. Menschen machen Fehler – auch, wenn sie so eine wichtige Position haben wie Pater Lorenzo. Diese Auslegung ist sehr zeitgemäß und wird von Kirby liebevoll und mit einem Augenzwinkern umgesetzt.

Hände weg von schönen Männern, denn sie werden zum Problem.

Gleich zu Beginn stürmen die drei Freunde Paul Csitkovics als Romeo, Edwin Parzefall als Benvolio und Nico Went als Mercutio die Bühne und markieren ihr Revier der Montagues in Verona. Den Dreien sitzt der Schalk im Nacken und man kauft ihnen die Teenager und Freunde, die sie spielen, wirklich ab. Allen voran ist da Nico Went als verliebter und insgeheim für Romeo schwärmender Mercutio. Ja, diese Interpretation gab es schon oft, man kann sie im Original herauslesen und erlebt sie jetzt endlich mal auf einer Bühne. Er hat diese Hauptrolle und vielen Solos mehr als verdient und sorgte mit »Kopf, sei still“, einer heimlichen Liebeserklärung an seinen besten Freund, für Gänsehaut. Gleichzeitig punktet er immer wieder mit Rock und Musicalbelt – ich bin eindeutig schockverliebt in diese Rolleninterpretation. Went beweist, was für ein Ausnahmedarsteller in ihm steckt und zeigt, wie sensibel die Rolle Mercutio eigentlich ist.

Romeo und Julia Liebe ist alles Kritik
© Privat

Jugend will Romantik, schaufelt dabei ihr eigenes Grab.

Auf der anderen Seite Veronas stehen Phillip Nowicki und Joël Zupan als Lord und Lady Capulet. Da Lisa Sumner die Rolle der extravaganten Lady krankheitsbedingt am 17.03. nur spielte und von Linda Rietdorff synchronisiert wurde und Joël Zupan seine spontane Premiere einen Tag später ohne Bühnenprobe und fertiges Kostüm, dafür aber umso souveräner und überraschender in der Interpretation, feierte, darf man auf diese Rolle an der Seite des herrischen Lords in Zukunft umso gespannter sein.  Das Paar steht für Reichtum, Geld und das damit einhergehende bequeme Leben. Ich habe ihre Intentionen nicht immer direkt verstanden und musste bei meinem zweiten Besuch wirklich genau auf die Nuancen im Spiel achten, um ihre Handlungen gegenüber Julia später nachvollziehen zu können. Der Bruch mit ihrer Tochter ist im Stück für mich einer der wenigen Punkte, der nicht komplett nachvollziehbar gekürzt und erzählt wurde.

Außerdem lebt in Verona Samuel Franco als Julias furchteinflößender und hitziger Cousin Tybalt. Die erbitterten Kämpfe zwischen ihm und den werden durch das Ensemble erzählt und erreichen ihren Höhepunkt, als Mercutio von Tybalt getötet und dieser daraufhin von Romeo gerächt wird. Eine eindrucksvolle Szene, die den ersten Wendepunkt der Geschichte markiert.

 

Und was für ein großartiges Gespür das Kreativteam hatte, wird nicht zuletzt bei Steffi Irmen als Amme klar. War diese doch bisher immer die undankbarste Rolle, so begeistert Irmen hier mit irrsinnigem Stimmvolumen, großartigen Songs und komödiantischem Talent sondergleichen, vor allem bei ihrem ersten Song »Hormone«, in dem sie über die verliebten Gefühle der Jugend und ihre Wechseljahre singt – einfach genial! Als die das Publikum einmal auf ihrer Seite hatte, konnte sie danach alles machen und wurde mit nicht endenden Beifallsstürmen und spontanen Ovationen belohnt. Wow!

Ich brenn für dich, verbrenne mich, für dich.

Und dann sind da noch Yasmina Hempel und Paul Csitkovics als Julia und Romeo. Romeo wird von Csitkovics oft halb ironisch, halb ernst gespielt, man glaubt ihm seine verliebten Gefühle, seine Entschlossenheit und seine liebevolle Naivität zu einhundert Prozent. Hempel dagegen ist taff, jung, emanzipiert und eine Julia, wie sie bisher noch nicht im Buche stand. Zusammen harmonieren die beiden auf der Bühne sowohl schauspielerisch als auch gesanglich perfekt und zeigen in ihren vielen Duetten, welche Kraft in ihnen und ihren Rollen steckt. Ob ruhig und emotional in »Dann fall ich« und »Luftschloss« oder laut und verliebt in »Herz schlag laut« und ihrer Liebesnacht (Was für eine tolle Choreo!) – sie können alles und zeigen eindrucksvoll die Bandbreite ihres Könnens. Und das Schönste dabei: sie müssen gar nicht perfekt sein. Sie sind vor allem echt und stehen zu ihren Gefühlen auf der Bühne – und das trägt am Ende die Geschichte und die Kernbotschaft.

Romeo und Julia Musical Berlin
© Ferran Casanova

Ein neuer Morgen, denn nach dem Krieg ist vor dem Krieg.

Meine Erwartungen an ROMEO UND JULIA – LIEBE IST ALLES das Musical waren hoch und ich habe nicht weniger als pure Kunst erwartet. Was soll ich sagen? Da haben sie echt was rausgehauen. So eine Show kann man sich nicht vorstellen, das muss man erlebt haben. Allein die Idee der Kombination von moderner Musik und alter Sprache. Die diverse und gender-unabhängige Interpretation von Rollen und Ensemble und deren stilvolle Inszenierung. Ich habe nach dieser Art von modernem Musical und künstlerischem Anspruch in Deutschland lange gesucht und beides gefunden. Dabei habe ich Tränen gelacht und Tränen geweint und jede Sekunde genossen. Shakespeare trifft Broadway – und das mitten in Berlin. Lasst es euch nicht entgehen!

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