“Sie hat den Ruf, die beste Autorin der Generation Snapchat zu sein”, schrieben zahlreiche deutsche Tageszeitungen, als Sally Rooneys Debüt “Gespräche mit Freunden” 2017 in Deutschland erschien. Ihr Buch sei “ungewöhnlich”, “bemerkenswert” und verkaufte sich allein in den USA über 1,5 Millionen Mal. 2016 gewann es sogar gegen die Autobiografie von Michelle Obama bei der Wahl zum besten englischsprachigen Roman. Und das, obwohl die Irin über ein alltägliches Thema schreibt: Die Liebe. Dabei ist sie jedoch so direkt und entromantisierend, dass ich mich ernsthaft frage, ob sie eigentlich noch Freunde hat …
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die 20-jährige France, die mit ihrer besten Freundin Bobbie regelmäßig an Poetry-Slams teilnimmt. Bobbie ist die bessere Performerin, France schreibt die besseren Texte. Diese Rollenverteilung zeigt sich auch, als sich die beiden mit dem Ehepaar Melissa und Nicki befreunden, Bobbie sofort mit Melissa in die Kiste hüpft, während Nicki und France sich vor allem über lange Mails näherkommen. Immer mehr stellt sich beim Lesen jedoch heraus, dass France zwar extrem gut die Gefühle und Gespräche anderer beobachtet und darüber schreibt, sich selbst aber jeder Emotion verschließt. Das Buch endet nach zahllosen Gesprächen, langen Mails und Affären so wie die Figuren selbst: Verbittert und unvollständig.
Rooney ist eine echte Freude für Liebhaber moderner literarischer Texte mit Tiefgang, politischen Meinungen und Gesellschaftsanalysen. Am besten mit einem Glas Wein genießen und die elegischen Gefühle danach mit lauter Musik wegtanzen. Andernfalls könnten diese Gespräche doch länger aufs Gemüt schlagen – Vorsicht, nichts für schwache Nerven! Übrigens: Ihr zweiter Roman “Normale Menschen”, erschienen 2020 bei btb, ist ebenfalls sehr lesenswert, wenngleich etwas harmloser.