»Ab heute heißt du Sara« im Grips Theater: tief berührendes Schauspiel

Es spielt am 11.02. das Ensemble des Grips Theater Berlin unter Regie von Uwe Jens Jensen und Michaela Hanser, musikalischer Leitung und Arrangements von Matthias Witting, Choreografie von Neva Howard und Claudia Balko nach einem Stück von Volker Ludwig und Detlef Michel. Das Stück wurde nach dem autobiografischen Bericht »Ich trug den gelben Stern« von Inge Deutschkron geschrieben und komponiert. 

Im Grips Theater ist freie Platzwahl.

Berlin, 1933

Das Grips Theater steht in Berlin für Theater mit starker Dialogarbeit, gesellschaftlich tiefgründige Themen am Zahn der Zeit und natürlich die bekanntesten Stücke von Volker Ludwig. 

In Zusammenarbeit mit Detlef Michel nahm er sich der Geschichte der jüdischen Autorin und Publizistin Inge Deutschkron an und brachte ihre Biografie 1989 erstmals auf die Bühne des Theaters, wo sie bis heute 130.000 Menschen sahen. Seit Ende November 2022 ist das Stück als Wiederaufnahme im Spielplan des Theaters zu finden. 

Ab heute heißt du Sara im Grips Theater
© David Baltzer | bildbuehne.de

Sozialdemokratisch aufgewachsen, in einem Haus, in dem Religion bislang keine Rolle spielte, muss Inge ab 1933 erfahren, was es bedeutet, eine Jüdin zu sein. Die damals Zehnjährige wächst fortan im Versteck auf – kein Kino, kein Ausgang, möglichst nicht auffallen. Allen Gesetzen zum Trotz stellt Otto Weidt die selbstbewusste Inge in seiner Blindenwerkstatt an; doch auch er ist machtlos, als Inge und ihre Mutter mit dem Beginn der Deportationen 1941 in Berlin untertauchen müssen …

Tiefgehende Fragen und gewitzte Dialoge

Ganz still ist es im wieder einmal ausverkauften Grips Theater, als die Musik einsetzt und das Stück beginnt. Eine Tafel am oberen Bühnenrand verrät das Jahr und den Ort des Geschehens. Jennifer Breitrück betritt in der Rolle der Inge die Bühne – und wird sie in den nächsten drei Stunden und 33 Bildern auch kaum verlassen. Sie spielt Inge selbstbewusst, stur, in den richtigen Momenten emotional, dann wieder ausgelassen und rebellisch. Ihre darstellerische Leistung an diesem Abend ist wirklich sehr beeindruckend. An Ihrer Seite Regine Seidler als Ella Deutschkron, Inges Mutter. Zu Beginn des Stücks verkörpert sie eben jenen Stolz, den sie als gestandene Frau an der Seite ihres Mannes Martin, liebevoll gespielt von Thomas Arens, durchaus haben darf. Diese mutige und so willensstarke Frau nach und nach an dem Regime zerbrechen zu sehen, nimmt mit. Sehr sogar. Seidler spielt genau diese Entwicklung extrem emotional und so bewegend, dass zumindest mein Auge nicht trocken blieb.

© David Baltzer | bildbuehne.de
© David Baltzer | bildbuehne.de

Eine fantastische Ensembleleistung

Um die beiden Protagonistinnen des Stückes gesellt sich das Ensemble. Hier eine Person besonders hervorzustellen wäre fast schon anmaßend, da sie alle in ihren vielen Rollen – als Gestapo-Männer, Beamte, helfende Berliner:innen, Wachtmeister und vielem mehr – hervorragende Leistungen bringen. Das Stück gewinnt durch diese enorme Ensembleleistung an Zugkraft und Dynamik und wirft durch die Vielzahl an Rollen und Handlungsorten nach und nach neue Probleme, Fragen und Momente auf. Das alles konzentriert sich am Ende in emotional-gewitzten Dialogen und schauspielerischen Höchstleistungen, immer wieder unterbrochen von berührendem Gesang und erheiternden Momenten. (Ob es die ausbrechenden Musicalmomente im Stück gebraucht hätte, sei mal dahin gestellt.)

Das Bühnenbild zum Stück ist minimalistisch und einfach, aber trotzdem besonders gehalten. Mit ein paar Tischen, Stühlen und Requisiten wird der rundum-Blick im Grips Theater perfekt bespielt und schnell von der Blindenwerkstatt zum Haus der Deutschkrons, zum Versteck oder der kleinen Dachkammer, in der Inge mit ihrem Freund Hans (Robert Neumann) das wunderschöne Duett »So stell ich mir den Himmel vor” singt. Die Inszenierung ist ebenso minimalistisch, dramaturgisch aber auch immer wieder besonders. Für Gänsehaut sorgt etwa Inges Lied “Seht her” in der U-Bahn, bei dem verschiedene Menschen die Jüdin aus ganz unterschiedlichen Gründen ansehen und ihre Gedanken zu ihrem Anblick laut aussprechen. Geschichte  war selten so greifbar und hautnah erlebbar wie in diesem Moment durch die Augen von Inge. 

“Ab heute heißt du Sara” ist ein Stück, das in Berlin wirklich jede:r gesehen haben muss. Diese autobiografische Geschichte ist durchweg spannend, erschreckend, berührend und überzeugt mit politischem Witz, taffen Protagonistinnen und dem, was man wohl den Volker-Ludwig-Charme nennen kann. Seine Stücke haben etwas zu sagen und sind für junge Menschen geschrieben. Das ist einfach nur cool. 

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