„Ich hatte gleich das Gefühl, ich muss das anders machen“ – Interview mit Musicaldarstellerin Nele Neugebauer

Interview Nele Neugebauer Kudamm 56
Nele Neugebauer bei Kudamm 56
Privat

Dass ich großer Fan des Musicals “Ku’Damm 56” bin, ist kein Geheimnis. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass sich die Darstellerin Nele Neugebauer Zeit für ein Interview mit mir genommen hat. Nele spielt seit der Premiere im November im Theater des Westens und besetzt dabei eine feste Position im Ensemble. Außerdem covert sie die Hauptrolle der Monika Schöllack. 

Sie ist mitten im Probenprozess für den anstehenden Castwechsel ab Ende April. Was zur Premiere noch nicht klar war: Aufgrund des gigantischen Erfolgs wird die Show verlängert. Einige Darsteller:innen haben jedoch bereits andere Engagements und Rollen müssen nachbesetzt werden. Ich habe sie in ihrer Pause am Theater des Westens getroffen und mich mit ihr unterhalten – über Typecasting in der Musicalbranche, ihre Liebe zu Büchern und natürlich Ku’Damm 56. 

[Im Interview spreche ich mit Nele auch über konkrete Szenen, Wendungen und inszenierte Momente im Musical. Entsprechende Stellen habe ich markiert (O), um eventuelle Spoiler zu vermeiden.]

“Und dann hat mich die Casting-Direktorin von der Stage plötzlich angerufen und gefragt: ’Nele, kannst du jetzt kommen?’”

Für wen ist Ku’Damm 56?

Manchmal merkt man richtig, dass die Leute kommen, weil sie Lust haben sich zu amüsieren und dann nach den ersten zwei Nummern erstmal verarbeiten müssen, dass es nicht die ganze Zeit happy sein wird. Obwohl es ja durchaus auch lustige Stellen gibt, aber eben nicht vorrangig. Man setzt sich nicht rein und kann sich berieseln lassen. Man muss schon auch etwas mitdenken. 

Würdest du sagen, man muss die Serie kennen?

Nö, glaube ich nicht. Ich glaube, dass es hilft – wahrscheinlich hat man zwei komplett verschiedene Erlebnisse, wenn man’s kennt und wenn man’s nicht kennt. Ich glaube aber nicht, dass man sie kennen muss. Ich kannte sie vor Probenbeginn auch nicht.

Wie hast du dich dann auf die Audition vorbereitet?

Die Auditionvorbereitung war … ich hab es mir auf Wikipedia durchgelesen (lacht). Bei mir war das halt mega kurzfristig, weil ich nachgecastet wurde – zwei Wochen vor Probenbeginn. 

Weil jemand abgesprungen ist?

Das weiß ich nicht. Ich hatte mich für die Ursprungsaudition beworben und wurde auch eingeladen. Ich konnte dann aber nicht hingehen, weil ich in London war und Corona zu diesem Zeitpunkt noch voll wütete. Es gab Reisebeschränkungen. Dann habe ich dort angerufen und gesagt “Leute, ich kann jetzt nicht fliegen. Ich muss dann zwei Wochen in Quarantäne – für eine Audition. Das geht einfach nicht.” Und dann hat mich die Casting-Direktorin von der Stage plötzlich angerufen und gefragt “Nele kannst du jetzt kommen?” Das war mitte September und im Oktober haben wir angefangen zu proben. Also ich wusste es wirklich nur zwei Woche vorher. Für die Audition habe ich drei Tage vorher die Einladung bekommen und dachte nur: “Okay, dann schau ich mir jetzt mal das Material an.”

Ich habe Audition für Eva und Monika gemacht und habe für beide Szenen und Lieder bekommen. Das war auf jeden Fall “Rumba” und … “Ich tanz allein”, glaub ich. Ja!

Nele Neugebauer Interview

Nele Neugebauer wurde in Leipzig geboren und studierte von 2012 bis 2015 Musical an der Performing Academy in Wien. Anschließend zog es sie für ihr Masterstudium, welches sie 2021 abschloss, an die Royal Academy of Music nach London. Nele spielte unter anderem in MY FAIR LADY (Kufstein, 2014), in der Tourversion von THE ADDAMS FAMILY (Deutschland und Österreich, 2017), GRIMM (Erfurt, 2019) und URINETOWN (London, 2021). Aktuell steht sie im Ensemble und als Cover Monika im Musical KU’DAMM 56 (Berlin) auf der Bühne. 

Was ist dein Lieblingslied in der Show?

Zum Anschauen: “Was wäre wenn?”. Zum Singen: “Ich tanz allein”. Im Ensemble ist es, glaube ich, “Herzlichen Glückwunsch”.  Bei den Proben habe ich am Anfang immer gedacht: “Liebes Universum”, Das ist die Nummer. Aber jetzt ist es das Finale, “Ich tanz allein”, weil man da vorher das ganze Stück hat und diese ganzen zweieinhalb Stunden als Monika immer auf die Fresse bekommen (lacht). Das ist dann einfach ganz gut. Wie ein Befreiungsschlag. 

[O] Ich saß in der Premiere und als quasi Decke, dieser riesige Spiegel in “Mutter Brause”, heruntergefahren kam, war ich einfach nur komplett geplättet. Nimmt man das als Darstellerin auch so wahr?

JAAA! Ich hatte echt großen Respekt vor der Bühne, weil wir immer rumklettern und hoch hinauf müssen. Und dann dieser Spiegel – das muss perfekt getimed sein. Und dann haben wir ja auch noch die Band auf der Bühne, die dann nach vorne fährt. Da hatte ich echt Respekt, weil es viele potenzielle Stellen gibt, wo man runterfallen oder gegen laufen kann (lacht). 

Da braucht es ja eigentlich auch viel Routine. Konnte die überhaupt aufkommen? Ich habe bei Instagram gesehen, dass ihr auch einige Krankheitsfälle und immer wieder spontane Umbesetzungen hattet. 

Dadurch dass wir das Stück mitentwickelt haben – es gab ja eine Workshop-Variante [10/2019 gab es einen zweiwöchigen Workshop, bei dem mit einem Ensemble das Stück bereits vor-inszeniert und ausprobiert wurde. Einige Darsteller:innen sind auch heute noch an der Produktion beteiligt. Anm.d. Red.] und zwischendurch wurde es mehrfach umgeschrieben, Lieder wurden rausgestrichen – …

Auch nach der Premiere noch, oder? Zumindest saß ich kürzlich drin und dachte: “Hm, das kenn ich so nicht.”

Ja, es wurden schon noch Sachen geändert. Aber nicht grundlegende. Das einzige, was sich so richtig geändert hat, ist die erste Rock’n’Roll-Nummer “Mutter Brause”. Da hatte man das Gefühl, es funktioniert noch nicht so richtig. Da wurde die Choreo zwei Mal geändert. Ob sie jetzt so bleibt – wer weiß.

Aber doch, sicher haben wir eine Routine. Ich finde es einfach bemerkenswert, ich habe bisher noch nie Ensuite [Ensuite = Produktion, die acht Mal pro Woche an einem festen Standort gespielt wird. Anm. d. Red.]  gespielt, immer nur an Stadttheatern. Drei verschiedene Sachen im Monat und nie jeden Tag das gleiche. Ich finde krass, dass ich von Oktober bis Januar quasi durchgeprobt habe, weil man ja erst das Stück probt, dann die ganzen Cover-Proben.

“Er ist ein Mann, der ein Stück inszeniert, das sich um Frauen dreht. Er wollte dann im Probenprozess gerne Feedback von uns haben.”

Probeneinblicke gibt es u.a. auf der Instagramseite vom Musical und von Nele.

Also hast du erst im Ensemble und dann für Monika geprobt?

Ich hatte Proben auch während der intensiven, ersten Probenzeit, wenn Sandra [Sandra Leitner ist die Hauptdarstellerin und Erstbesetzung der Monika. Anm. d. Red.] krank war oder sowas. Dann haben das Sophia [Sophia Riedl ist in der Show Swing und Cover für Eva und Monika. Anm. d. Red.] oder ich gemacht. Aber für mich war es auch so, dass ich erstmal meinen Ensemble-Track entwickeln und lernen musste; und ich habe es dann ab und zu gesungen, in irgendwelchen musikalischen Proben, wenn sie gesagt haben: “Jetzt sing du mal”. Und dann hatte ich Monika-Premiere und habe direkt eine Woche am Stück gespielt, weil Sandra im Urlaub war und Sophia Eva gespielt hat, weil Isabel [Isabel Waltsgott ist die Erstbesetzung der Eva Schöllack. Anm. der Red.]  krank war. Das war super. Ich hatte die Premiere und habe sie sofort eine Woche gespielt – danach konnte ich es dann auch. Ich fand es aber vor allem krass, dass dieser Probenprozess so lange weiter ging und wir jetzt schon wieder proben.

Konntet ihr als Darsteller:innen auch Feedback geben? Zum Beispiel wenn ihr das Gefühl habt, ein Stück oder Track funktioniert nicht? Oder kommt das Feedback eher von Außen?

Ja, da guckt jemand von Außen drauf. Aber während der Proben, das fand ich sehr cool, hat Christoph [Christoph Drewitz ist der Regisseur des Stücks. Anm. d. Red.] gesagt, dass er jetzt natürlich ein Mann ist und ein Stück inszeniert, das sich um Frauen dreht. Er wollte dann gerne Feedback haben, wenn wir irgendwie das Gefühl haben: “Das ist jetzt komisch”. Da haben wir schon mitgeredet. Aber jetzt guckt jemand drauf und dann wird es geändert.

“Ich hatte das Gefühl, ich kann die Monika nicht so interpretieren wie die anderen beiden”

Hast du das Gefühl, du interpretierst Monika anders als Sophia und Sandra?

Ja!

Inwiefern?

Hm. 

Mein Eindruck ist, obwohl ich dich nur im Ensemble kenne, dass du temperamentvoller bist.

Ja! Und ich höre oft, dass sie bei mir aktiver ist. Wir sind alle drei sehr unterschiedlich. Die Essenz natürlich nicht, die Rolle ist die Rolle. Aber für mich war es schon ein bisschen seltsam … okay vielleicht nicht seltsam, aber als wir uns am ersten Probentag kennengelernt haben und alle gesagt haben wen sie spielen … Ich sag mal so: Vom Typ her sind sich Sandra und Sophia relativ ähnlich. Und ich war dazwischen. Erstens bin ich einen Kopf größer als die beiden, habe eine andere Haarfarbe. Ich hatte gleich das Gefühl, ich kann das nicht so machen wie die beiden. Ich muss das anders machen. 

Kudamm 56 Monika Musical
v.l.n.r. Sophia Riedl, Sandra Leitner und Nele Neugebauer als „Monekinder“ (Quelle: Instagram)

Ist das gut?

Schon, ja. Ich hatte das Gefühl, Monika passt gut zu mir. Zu den beiden anderen aber auch!

Deshalb hab ich gedacht: „Ist ja Wurscht.“ (lacht). Ich hatte nur Angst, dass sie mir die Haare brünett färben. 

Das hättest du nicht mitgemacht?

Doch, schon, aber ich hätte es nicht gut gefunden. Ich habe lange gebraucht, um zu akzeptieren, dass ich rothaarig bin. Und jetzt hänge ich aber auch ein bisschen dran. 

Die Reaktion auf die Haarfarbe ist definitiv immer: Selbstbewusst. Die weiß, was sie will.  

Ja, total! Ich war lange blond, weil man mir lange gesagt hat: “das passt viel besser, du kriegst leichter Rollen, wenn du blond bist.”

Stichwort: Typecasting?

Ja, was zum Teil auch gestimmt hat. Aber es war halt nicht meine Haarfarbe. Irgendwann hatte ich es ein bisschen satt und hatte keinen Bock, dass es an einer Haarfarbe hängt. Das ist 2022 einfach lächerlich. Sollte man meinen. Und jetzt hänge ich etwas dran – natürlich hätte ich sie mir brünett gefärbt. Aber das Team fand es von Anfang an total super, vor allem auch für Monika. Und ich finde es lustigerweise auch sehr hilfreich. Monika versucht konsequent, sich zu verstecken und sich in andere Leute reinzublenden. Und wenn man rote Haare hat, ist das generell schon immer schwierig. Zum Spielen sehr cool! Wir spielen es aber auch alle drei anders, weil wir alle drei einen unterschiedlichen Zugang zur Rolle haben. 

Welcher ist dein Zugang?

Hm. Lass mich kurz überlegen. Ich hatte es am Anfang etwas schwer. Mein Zugang ist, glaube ich, dass sie so wahnsinnig empathisch ist. Das ist was, das ich auch gut kann. Sie kann sich voll gut um Menschen kümmern und sie kann voll gut zuhören. Das ist auch der Grund, warum viele sagen: “Sie steht nur auf der Bühne und macht nichts!” Dabei ist Monika voll die krasse Zuhörerin und Beobachterin – und wertet aber nicht. Oder wertet schon, aber nur für sich. Sie hat so eine krasse Empathie und kann fast alles vergeben. Was auch heftig ist, weil sie sich total gut in andere rein empfinden kann und andere Schicksale nachempfinden kann. Das finde ich total bewundernswert. Ich glaube aber, ich bin nicht ganz so emphatisch. Vor allem dieses: Alles vergeben. 

[O] Denkst du auch gerade an Joachim Franck und den Moment während der Hochzeit ihrer Schwester, als er sie vergewaltigt? 

Ja. Da weiß ich nicht … das wäre bei mir wahrscheinlich anders. ich kann das Gott sei dank nicht einschätzen. Aber das ist was, wo ich in den Proben nicht wusste, wie ich das weggeben soll, dass sie ihn einfach hasst. Aber “Wenn du dich auflöst” ist da einfach ein sehr guter Moment. Der ist sehr, sehr geschickt inszeniert und geschrieben. Das hilft total, dadurch kann man das so gut. 

Monika und Joachim sind sich ja eigentlich total ähnlich, deshalb finden die sich ja auch so interessant. Das ist auch das, was ich in der Hochzeitsszene, wo sie sich kennenlernen, immer versuche zu etablieren. Dass sie sich, wenn nicht so viele Sachen dazwischenkommen würden, potenziell auch einfach mögen würden. Sie wären Freunde geworden.

[O] Eine Vergewaltigung ist durch nichts zu rechtfertigen, aber es ist Teil von Joachims Geschichte. Wie ist es, das auf der Bühne auszuspielen?

Es ist vor allem mega technisch. Dadurch ist es in Ordnung, weil wir diesen Vorgang technisch auseinandergenommen haben. Es ist wie eine Choreo, aber auch nicht meine Lieblingsszene. Was schwierig ist – das finde ich auch krass an Sandra – es ist was anderes, wenn man es acht Mal pro Woche spielt. Je nach Tagesstimmung unterscheidet es sich dann auch, wie stark mich das trifft. Je nachdem wie offen man in dem Moment ist und wie sehr man sich gerade nicht selbst beschützt, desto mehr nimmt man das auf. Man kann ja auch komplett zumachen und es total als Choreo sehen. Ist halt aber für den Rest des Stückes nicht ganz so gut. Zumindest für mich. Aber wenn man es zu doll aufmacht, braucht man ewig, um wieder davon runterzukommen und dafür ist keine Zeit. 

Ganz ehrlich: Wir haben auch total tolle Joachims, die da auch extrem aufpassen. Es ist komplett safe und dadurch ist es okay. Ich finde es manchmal fast schlimmer, die Catherina-Szenen zu spielen. Egal welche, alle im ersten Akt. Wo sie permanent enttäuscht ist und man das ständig abbekommt. 

Als Zuschauer:in bekommt man schnell den Eindruck, dass ihr im Ensemble extrem miteinander harmoniert und es keinen “Musicalstar” gibt. Ist das wirklich so?

Ja, das ist wirklich so. Es ist ganz selten, dass ich eine Cast habe, in der ich mich grundsätzlich mit jeder und jedem verstehe. Und auch gut verstehe. Das macht es auch einfacher, acht Mal die Woche das gleiche zu machen. Ich verstehe mich vor allem mit Sandra und Sophia extrem gut, aber auch mit allen anderen. Es ist einfach immer saulustig.

Wir sind nicht gekommen und das Stück gab es. Niemand hat gesagt: “Hier, du machst A-B-C-D”. Es war ein Prozess und wir haben Sachen ausprobiert. Das hat geholfen. Deshalb bin ich umso trauriger, dass einige Darsteller:innen die Show verlassen. Auch, wenn die neuen Kolleg:innen wirklich toll sind! Die lernen es jetzt nur anders.

Was ist für dich als Darstellerin besonders an der Show?

Ich finde generell an Ku’Damm toll, dass es schauspielerisch so viel bietet. Natürlich muss man die Wege machen, natürlich hast du Licht und Ton. Du kannst nicht komplett neu was bauen, aber ich finde, schauspielerisch hat man recht viel Spielraum, um das Stück für sich zu finden. Das ist total cool, weil das nicht so oft ist, dass man die Individualität der einzelnen Darsteller:innen annimmt und sagt: “Ja gut, du findest deinen Weg für dich mit der Rolle und er muss nicht genauso sein, wie bei den zwei anderen Leuten, die die Rolle spielen.”

Es ist auch einfach unkonventionell, dass mit Peter Plate, Ulf-Leo Sommer und Annette Hess drei Leute ein Musical geschrieben und komponiert haben, die nichts mit dem Genre am Hut haben. Das macht es extrem einzigartig und deshalb verstehe ich da auch die Kritiken nicht, die das bemängeln. 

Ja, ich finde das auch so cool, dass ich dafür sogar extra aus Großbritannien zurückgekommen bin. Ich war fertig mit meinem Studium und habe mir gesagt, dass ich das Konzept und das Stück so gut finde. Aber dafür muss man offen und empfänglich sein. Es ist nicht “Frozen” – was auch total seine Berechtigung hat und wunderschön ist, aber das ist es halt nicht. Und es ist auch nicht LesMiz. Obwohl ich finde, “Was wäre wenn” ist ein bisschen wie “One day more” in der Pop-Version (lacht). 

Die Drei waren ja auch in London und haben sich viele Stücke angesehen. Und für mich hat es extrem viel von “Come from away”, insbesondere in der Inszenierung. 

Ja, total! Und “Mathilda!”. Als ich die Bühne gesehen habe, dachte ich: “Oh, Hamilton!”. Aber ja, da sind viele moderne und englischsprachige Musicals eingeflossen. Das ist super, weil es dadurch so aktuell ist. 

Ich finde echt gut, dass es in Deutschland endlich mal eine Großproduktion gibt, die unkonventionell denkt und einfach mal schaut, wie es ankommt. 

Hattest du als Darstellerin Angst, dass es nicht ankommt? 2019, vor Corona, spielte “The Band” ensuite im Theater des Westens, was nicht besonders gut verkauft war …

Ja, natürlich. Aber es macht total Sinn, Ku’Damm 56 in Berlin zu spielen und es gab diese Serie. Bei “The Band” war das Problem, dass man was kulturelles genommen hat, das nicht aus unserer Kultur kommt. Und wenn man sowas macht, muss man es den Leuten – auch im Marketing – anders zugänglich machen. Wie jetzt zum Beispiel mit den U30-Tickets. Es macht total Sinn, die von Dienstag bis Donnerstag anzubieten; wir hatten noch nie eine Show, in der wirklich nichts los war. 

Was müsste jemand im Publikum machen, um dich während der Show so richtig auf die Palme zu bringen?

Wir haben ganz viele Leute, die leider filmen. Das passiert oft und ist manchmal auch ein bisschen lustig – irgendwie. Dass man sich in die erste Reihe setzt und wirklich penetrant filmt. Ich gucke dann von der Bühne runter und denke mir: “Sagt mal!”. Manchmal schlafen auch Leute, aber das finde ich dann einfach lustig. Oft sind das Leute, die in der ersten Reihe sitzen. Da denke ich mir dann immer: “Mach doch, du hast dir den Platz ja gekauft für drei Stunden.” Wird halt nur ein bisschen laut. (lacht) Wenn Leute essen, finde ich es okay. Aber das liegt daran, dass ich in Großbritannien gelebt habe und es da einfach normal ist. Ist halt ein bisschen Kinofeeling. 

Inwiefern unterscheidet sich Musical in Großbritannien von Deutschland?

Wie viel Zeit hast du? (lacht)

Wie viel Zeit hast du?

Das Publikum unterscheidet sich insofern, dass es einfach viel lauter ist und viel mehr seine Meinung zum Besten gibt, ob etwas gut oder schlecht ist. Sie sind aktiver am Geschehen beteiligt, was ich anfangs etwas nervig fand. Ich hätte manchmal gerne meinen Space und möchte es für mich mitbekommen. Auf der anderen Seite ist es auch megakrass. Ich habe letztes Jahr “Anything goes” gesehen und es gab mitten im Stück fünf Minuten Standing Ovations. Es hat einfach nicht aufgehört und das ist cool. Die Leute sind halt leidenschaftlicher, was Musical im Allgemeinen angeht, weil es in der Kultur verwurzelt ist. Bei uns nicht und hier hat es auch einen anderen Ruf. Wenn man dort sagt, dass man Musical studiert, finden es alle total toll. Hier muss man sich ab und zu schon noch mit Vorurteilen rumschlagen. 

“Musical ist in London viel progressiver”

Urinetown Royal Academy of Music
Nele in der Rolle der Pennywise in URINETOWN an der Royal Academy of Music in London

Kann nicht singen. Nicht tanzen. Nicht spielen. Kennt man. 

Ja, genau! Und was die Musicals angeht, ist es viel progressiver. Wenn man eine englische Ausschreibung bekommt, dann steht da sowas wie: “Wir suchen eine Person, die sich weiblich identifiziert oder non-binary ist.” Man kriegt schon Ausschreibungen, die viel diverser sind. Gerade im Typecasting. Dort ist gerade der komplette Gegentrend. Sie machen zum Beispiel “Legally blonde” und die Ellen ist Schwarz und etwas kurviger.

Aber sie ist die Beste für die Rolle. 

Exakt. Das ist der Gegentrend und da hat man es gerade nicht so leicht, wenn man “typisch Musical” ist. Was aber wichtig ist, denn es braucht die Gegenbewegung, damit es sich auslevelt irgendwann. Es ist auch viel normaler, Workshops von neuen Stücken mitzumachen. Da kann man sich bewerben und es mitenwickeln. Dann funktioniert es oder nicht, aber es bewegt sich mehr. Haben wir in Deutschland zwar auch durch die “Schreib:maschine”, aber das ist alles noch etwas kleiner.

Ja, aber es ist nicht das Ende. Disney und Frozen sind megatoll, aber eben nur eine Sparte. Die Leute finden das einmal im Jahr an Weihnachten ganz toll, aber nicht für fünf, sechs, sieben Besuche. 

Genau! Und es ist in Großbritannien auch viel politischer. Ku’Damm 56 finde ich auch sehr politisch. Und in London gibt es das ständig. Da sind Stücke relevant, zeitgemäß. Oder sie machen neue Versionen, wie vor ein paar Jahren “Company”, wo sie mal eben die Hauptrolle weiblich gecastet haben, obwohl es sonst immer ein Mann ist. Solche Dinge sind der Grund, warum ich damals gegangen bin. 

Du sagtest eben, dass es einen “Typ Musical” gibt. Wer oder was ist das? Definierst du dich darin? 

Hm. Doch, schon, ich bin ja Darstellerin. Aber ich bin … na ja … nicht kommerziell. Obwohl auch das mittlerweile nicht mehr so richtig stimmt. Früher habe ich immer gedacht, ich könnte zum Beispiel nie “Frozen” spielen, jetzt denke ich mir, dass ich eigentlich eine gute Anna wäre. 

Nicht nur wegen der Haare!

Nein, allgemein! Jetzt hat sich das geändert. Früher habe ich mir relativ viel darauf eingebildet, nicht kommerziell hübsch zu sein, wenn ich das so sagen darf. Du weißt was ich meine – mit sehr viel Vorsicht. Mittlerweile halte ich das für Blödsinn. Aber früher eben, weil ich immer viel Feedback bekommen habe, dass ich zu speziell bin, um mich ins Ensemble zu casten. Ja, danke. Und was mache ich jetzt damit? Dann hat man mir gesagt, ich werde eher character-roles spielen. Habe ich aber auch nicht nur gemacht. Ich habe auch Serena Katz in “Fame” gespielt, was keine typische Rolle für mich ist. 

Ist auch keine typische character-role … 

Ist eine super Rolle, aber nein. Mittlerweile bin ich der Meinung, ich kann per-se erstmal alles machen, wenn ich es halbwegs singen und spielen kann und die Person auf der anderen Seite offen genug ist, um das auch auszuprobieren. 

Fame Serena Katz
Nele als Serena Katz in FAME

Eben. Auch dein Gegenüber muss da open-minded sein. 

Stimmt. Aber ich bin ein bisschen spirituell und glaube an Energien. Ich habe mir früher immer eingeredet, dass das nichts wird. Ich muss mich nicht für eine Jane in „Tarzan“ bewerben. Und dann habe ich es auch nicht gemacht. So denke ich heute nicht mehr. Wenn sie mich dann nicht einladen, dann ist das so und dann kann ich nichts machen. Aber ich schließe es nicht mehr aus. Der Prozess hat aber auch zehn Jahre gedauert. 

Ich wollte nochmal kurz auf Bücher zu sprechen kommen. Das ist ja auch dein Thema, oder?

Ja, Gott sei dank wieder! Ich habe als Kind so viel gelesen und bin mit dem Buch vor der Nase zum Schulbus gelaufen. Und dann hatte ich eine Phase, in der ich nur noch Stücke gelesen habe, oder Sachen, die sich nur noch mit Theater befasst haben. Das ging lange so, aber ich wollte nie ein Fachidiot werden und nur noch Sachen lese, die Theater sind oder Biografien von Sondheim. Das ist immer noch Job. 

Vor einem Jahr oder so habe ich wieder angefangen, Sachen zu lesen, die mich außerhalb meines Berufes interessieren und da bin ich sehr, sehr glücklich drüber. Meine Mutter war Buchhändlerin früher und es gibt bei uns keinen Raum, in dem kein Buch steht. Und als Kind hab ich das für selbstverständlich genommen; jetzt fahre ich jedes Mal nach Hause und denke mir, wie schön das ist. Das ist auch gut für meine Mental Health. 

Generell ein großes Thema in deinem Job. Wie gehst du damit um, was machst du für dich?

Ich mache vieles, was handwerklich-händisch ist. Ich male gerne. Alles, was irgendwie crafty ist, finde ich gut. Ich bin kein Bastler, aber ich male voll gerne oder spiele Ukulele oder gärtnere. Das ist aber neu (lacht). Ich suche auch bewusst Sachen, die nichts mit dem Beruf zu tun haben. Obwohl viele meiner Hobbys natürlich damit zu tun haben. Ich singe auch gerne in meiner Freizeit, aber eben Stücke, die mir gefallen oder auf die ich gerade Lust habe. Ich schreibe auch gerne Gedichte …

Und Bücher?

Ja, gute Frage. Irgendwann will ich das schon machen, aber bisher ist mir noch nicht die Idee über den Weg gelaufen. Ich bleibe erstmal bei meinen Gedichten, die sind kurz und ich kann sie beenden. Bei einem Buch hätte ich immer Angst, dass ich nicht fertig werde. 

Ein Buch, das du gerne mal auf der Bühne sehen würdest – und go!

SO viele! Es gibt eines, das heißt “Oreo”. Das wollte ich eigentlich mal als Stück schreiben. Das wäre für die jetzige Zeit perfekt, obwohl es älter ist. 

Es geht um ein Schwarzes, jüdisches Waisenkind, das in New York lebt und es ist ein bisschen geschrieben wie “Die Odysee”. Es macht sich dann auf die Suche, um ihre Eltern zu finden. Und es geht quasi um die ganzen Begegnungen, die sie mit anderen Menschen hat. Es wäre perfekt, um es zu inszenieren. Ich habe es gelesen und dachte mir: “Aha, es ist eigentlich ein Theaterstück, aber es hat jemand einen Roman daraus geschrieben.” Das fänd ich cool. Wenn ich da aber so drüber nachdenke, fallen mir sicher noch zwanzig andere ein, die sich super als Stück eignen würden. Prinzipiell kann man ja so vieles als Stück umschreiben. 

Ich bin sehr gespannt, ob Nele vielleicht eines Tages auch selbst mal ein Stück schreiben oder inszenieren wird – sicher ist aber: wir werden in den nächsten Jahren noch viel von ihr mitkriegen! An dieser Stelle bedanke ich mich für das spontane und so ausführliche Gespräch! Wenn ihr auch Lust bekommen habt, euch Ku’Damm 56 anzusehen, dann habt ihr noch bis zum 19.02.2022 Gelegenheit dazu. 

Szeneneinblicke zum Hit „Berlin, Berlin“ (gesungen von David Jakobs)

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