Come from away in Regensburg: Die Stadt kann verdammt stolz sein!

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»Aus Berlin?!«, mein Sitznachbar schaut mich irritiert an, während wir der Einführung zum Musical »Come from away« zuhören. Ich flüstere ihm zu, dass die Show für viele wohl einfach »experimentell« wirkt, in Musicalkreisen aber längst ein Phänomen ist. Eine Off-Broadway-Produktion, die es bis ins West End, nach Sydney, in die Niederlande und quer durch Nordamerika geschafft hat – plus exklusive Apple-TV-Aufzeichnung. Ein kleines, schnelles Stück Musiktheater mit großer Wirkung. 

28 Stunden über der Welt

Mein Sitznachbar ist kurz still. Dann: »Meine Frau und ich sind auch nur auf Empfehlung hier, wir hatten Glück, es ist ja immer ausverkauft.« Ich grinse. Und erspare mir die ausführliche Erklärung, dass das Theater Regensburg hier gerade mehr als nur Glück hat – sondern Mut beweist; höre stattdessen den Ausführungen von Dramaturg Ronny Scholz zu. Er erzählt von über 400 Bewerbungen für gerade einmal zwölf Rollen (plus zwei On-Stage-Swings). Von Schauspieler*innen, die einfach nur dabei sein wollten – egal in welcher Rolle. Und von seiner Begeisterung für dieses ungewöhnliche Musical, das sich konsequent jeder Erwartungshaltung entzieht.

© Marie Liebig

»Come from away« ist wahrscheinlich das am schnellsten erzählte Musical überhaupt. In knapp zwei pausenlosen Stunden wird das Publikum von den Autorinnen Irene Sankhoff ud David Hein in den Ausnahmezustand geworfen, der Gander, Neufundland, im September 2001 erschütterte. Nach den Anschlägen des 11. September landen über 6.500 Menschen in einer 10.000-Seelen-Stadt – und erleben dort eine Form von Gastfreundschaft, die weder berechnet noch romantisiert wirkt. Sondern menschlich.

38 Flugzeuge, 7.000 Menschen, Welcome to the Rock

Die deutschsprachige Erstaufführung in Regensburg ist keine Lizenz-Show, sondern überzeugt mit einem neuen Bühnenbild von Kristopher Kempf. »Doch keine Sorge«, grinst Scholz. »Die Show trägt auch hier in Regensburg den charmanten Beinamen: Come from a chair!« Die Autor:innen wünschten sich, die Show wirklich überall reproduzieren zu können. Das Bühnenbild ist deshalb so einfach wie wirkungsvoll: Ein paar Tische, zwölf Stühle. Die Inszenierung von Regisseur Sebastian Ritschel genauso temporeich und dynamisch wie das Original. Im gesamten Stück wird genau zweimal ein Applaus provoziert, den Rest der Show erlebt das Publikum ebenso pausenlos wie die Menschen in Gander es damals waren. 

Das vielleicht wichtigste zuerst: Das Stück ist keine Gefälligkeit fürs Abopublikum. Das war meine größte Angst. Das kann diese Show auch einfach nicht. Sie berührt, weil sie keine Zeit hat für Larmoyanz. Weil die zwölft schauspielenden Personen in über vierzig Rollen schlüpfen – meistens auf der Bühne, meistens nur mit einer neuen Jacke, einem aufgeklebten Bart oder einem Haltungswechsel. Die Handlung ist dokumentarisch verdichtet, in viele parallele Erzählstränge gegossen, ohne zentrale Hauptfigur – und gerade deshalb so nah dran an dem, was damals in Gander geschah. Die Cast war wach, präsent, von Anfang bis Ende perfekt. 

© Marie Liebig
© Marie Liebig

Und der Himmel geht auf

Und trotzdem gibt es meine persönlichen Highlights: Kevin J. und Kevin T., herrlich verliebt und herrlich komödiantisch gespielt von Andreas Bieber und Alejandro Nicolás Firlei Fernández. Benedikt Eder unter anderem als engagierter und dauerpräsenter Bürgermeister Claude, der in Gander die Fäden in der Hand hält. Meine Lieblinge Diane und Nick, die sich in Ganda kennen- und lieben lernen. Berührend und eindringlich erzählt von den Darsteller:innen Carin Filipčić und Jogi Kaiser

Und dann ist da noch Wietske van Tongeren als Pilotin Beverley. Ich mag die Rolle dieser schnörkellosen, empowernden Frau auf einer Musicalbühne wahnsinnig gerne. Für mich singt sie an diesem Abend mit »Und der Himmel geht auf« (Original: »Me and the Sky«) DEN Song. Die Übersetzung klingt vielleicht nicht hundertprozentig rund, hier und da büßt die Show ein paar Gags und schöne Wortspiele ein, gleichzeitig schafft es gerade dieser Monolog in mein Herz. Beverley erlaubt sich lange keine Schwäche, doch in diesem Moment bringt sie alles von sich auf die Bühne: »Und das, was mein Leben erfüllte, wurde zur Bombe!« (Original: And the one thing I loved more than everything was used as the bomb!). Immer noch: wahre Begebenheiten. Diese FRau war wirklich Amerikas erste Pilotin. 

© Marie Liebig

Und die, die nicht mehr hier und trotzdem bei uns sind

Im Publikum ist es oft still. Als die Passagiere zum ersten Mal nach zwanzig Stunden die Bilder aus New York sehen. Als ein muslimischer Mann grundlos unter Verdacht gerät. Als Beverley mit brüchiger Stimme zum dritten Mal ihrem Mann versichert, dass es ihr gut geht – und dann vom Tod eines Kollegen erfährt. Und doch: Diese Show ist keine Tragödie. Sie ist lebendig, humorvoll, musikalisch präzise – und voller Hoffnung. Irish-Folk, scharfe Dialoge, Kulturen, die aufeinanderprallen. Und mittendrin Menschen, die einfach tun, was getan werden muss.

»Wie hat es dir gefallen?«, fragt mich mein Sitznachbar nach der Show. Wir wischen uns beide eine Träne aus dem Augenwinkel. Ich antworte ihm kurz und knapp: »Das Theater Regensburg kann so verdammt stolz sein!« Und meine jedes Wort. 

Hinweis: Die Show ist in Regensburg restlos ausverkauft. Tickets bekommt ihr noch für die Gastspiele im Deutschen Theater München. Eine Wiederaufnahme ist vorerst zunächst nicht geplant. 

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