Kein Pardon in Hamburg: Kult auf der Musicalbühne

Kein Pardon Hamburg Musical

»Kennste?«, fragt mich meine Begleitung bei der ersten Premiere nach der abgeschlossenen Renovierung des First Stage Theaters in Hamburg.
»Hm?«
»Na, KEIN PARDON. Der Film war Kult! Heinz Schenk, Annett Kruschke, Hape Kerkeling natürlich …«

Sitzplatzempfehlung: Reihe 8, mittig

Witzischkeit kennt keine Grenzen

Um ehrlich zu sein: Nein, kannte ich nicht. Weder den Film noch Kruschke oder Schenk. Und auch keinen der Kalauer – einer geht so: »So kann isch net arbeite!«
Pottdeutsch. Rheinländisch. 

Ähm. Okay? Hape, ja, natürlich. Sein Lebenswerk, sein Verdienst für das deutsche Unterhaltungsfernsehen, sein großer Einfluss auf die Komödie. Aber die Filmkultur der 70er und 80er wirkt für mich heute doch oft ein bisschen zu retro. Dennis Schulz, Inhaber der Stage School Hamburg und Intendant des First Stage Theaters, spricht dann zur Eröffnung genau das aus, was ich denke: »Wieso spielt ein so junges Ensemble ausgerechnet dieses Stück?«

Sagen wir mal so: Nach der Show wusste ich es.

© Dennis Mundkowski

Die Geschichte ist so simpel wie erfolgsversprechend: Ein junger Typ, Peter Schlönzke ausm Pott, träumt von mehr im Leben als dem Schnittchenservice von Mutti und Oma. Sein großes Vorbild: Heinz Wäscher, TV-Star und Moderator von »Witzigkeit kennt kein Pardon!«. Doch als Schlönzke durch Zufall mitten in dessen Produktion landet, merkt er schnell: Sein Idol ist alles andere als charmant und »witzisch«. Fernsehen kennt Backstage keinen Humor, das Showbiz ist hart – und nur die Lautesten bleiben ganz oben.

Leidenschaft & eine moderne Inszenierung

Zwei Dinge fallen sofort ins Auge: Witzigkeit und Lautstärke. Vielleicht die beiden wichtigsten Attribute dieser schrillen, kalauigen und irgendwie nostalgischen Produktion. Das Ensemble ist stark, die Absolvent:innen voller Leidenschaft – das spürt man sofort. Regisseurin Franziska Kuropka und das Kreativteam mit Musical Director Nicolas Mischke und Choreograf Sven Niemeyer haben ganze Arbeit geleistet. Die Show ist aufgeräumt, modern inszeniert und besticht mit viel Musicalcharme. Das macht richtig Spaß!

Spaß machen auch die Hauptdarsteller:innen. Familie Schlönzke mit den Großeltern Oma Helma und Opa Herrmann – herrlich schrullig und schön altbacken gespielt von Viola Bremer und Pascal Giebel. Munja Meier leiht Peters Mutter Hilde ihre Stimme – und was für eine! Sie bekommt ihre Solos, singt sie mit Kraft und Gefühl, und man merkt sofort: Diese Stimme wird man in Zukunft bestimmt öfter im Musical hören.

© Dennis Mundkowski
© Dennis Mundkowski

Comedy, Ernsthaftigkeit und Anzugträger

Auf der anderen Seite der Bühne: Die TV-Macher, die Entscheidungs- und Anzugträger. Regisseur Bertram, Redakteur Walter, Redakteurin Doris und Karin, die Kaffee kocht. Timo Stark, Marc Verhaelen, Viktoria Kerbl und Svea Pöhner verkörpern diese schrillen, überzogenen und herrlich amüsanten Figuren mit genau der richtigen Portion Biss und Nervigk–… Witzischkeit! Und direkt nebenan, Studio 3: Ulla vom Ton, cool und lässig gespielt von Ilka Kottkamp. Ihre Ulla ist mehr als nur Technik – sie ist der Ruhepol in diesem lauten Chaos und sorgt dafür, dass alles läuft.

Und dann sind da noch die beiden Darsteller des Abends. Zum einen natürlich der legendäre Nik Breidenbach in der so cholerischen, lauten, verkappten Rolle des abgehalfterten Showmasters Heinz Wäscher. In den richtigen Momenten ist er total drüber, kann aber auch die leisen Momente und Monologe, natürlich immer im breitesten Dialekt. Geeell?

Direkt neben ihm Peter Schlönzke, gespielt von Philip Racoczy. Der naive Junge aus der kleinen Stadt, der ein bisschen zu viel Berühmtheit riecht und sich immer wieder fragen muss, wie weit er bereit ist, seine Ideale und Familie gegen Glanz und Glamour einzutauschen. Rakoczy überzeugt von Beginn an mit extrem gutem Timing, viel Comedy-Talent und vor allem mit seinen Songs. Von ruhiger Ballade über laute Uptempo-Nummer bis zu viel Ensemblearbeit – da ist wirklich alles dabei. Was für eine Figur, was für ein spannender Darsteller. Ich will so viel mehr von dieser Leichtigkeit und Frische im Musical sehen. Co

Kein Pardon Hape Kerkeling Musical
© Dennis Mundkowski

Und jetzt? Guck ich den Film zur Show? Vermutlich nicht. Nicht, weil es mir nicht gefallen hat – im Gegenteil. Aber was diese Show mitbringt, kann ein Film aus den 90ern vermutlich noch nicht: Aktualität in Sprache, in Gags, in Themen. Es sind die Reaktionen auf sexistische Sprüche, die Augenverdreher bei der Frauenquote, die Klischees, die von diesen jungen Menschen so gekonnt ignoriert und besser gemacht werden, die hier herausstechen.

KEIN PARDON gilt auch für den Ton in diesem Stück, der so frisch und zeitgemäß wirkt – das hätte ich wirklich nie erwartet. Ja, hintenraus hätte es etwas schneller gehen können; irgendwann im zweiten Akt verliert sich das Tempo aus der ersten Hälfte in der dritten 11’o’clock-Nummer, dem vierten Refrain und noch einer Ballade. Das Stück hätte gut und gerne zwanzig Minuten kürzer sein können – macht aber nix. Spaß macht es so oder so, die Gags zünden, die Darsteller:innen überzeugen in jedem Moment. Wer diesen Sommer in Hamburg ist, sollte sich das nicht entgehen lassen.

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