Tom Sawyer von Kurt Weill: alter Western als coole Kinderoper inszeniert

Barbara Braun

Es spielte am 18.02. zur Premiere das Ensemble und Gastkünstler:innen der Komischen Oper Berlin unter Regie von Tobias Ribitzki, musikalischer Leitung von Kai Tietje, Dramaturgie von Johanna Wall und Katie Campbell und Leitung des Kinderchores von Dagmar Fiebach.

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Tom Sawyer made in New York

Dass die Kinderopern der Komischen Oper Berlin an Professionalität, Anspruch und guter Inszenierung kaum zu übertreffen sind, habe ich schon oft betont. Mit »Tom Sawyer« weht jetzt aber nochmal ein ganz anderer Wind durch den Theatersaal nahe der Friedrichstraße. 

Kurt Weill ist in Deutschland vor allem mit seiner »Dreigroschenoper« bekannt. Die ersten fünf Nummern zum Musical »Tom Sawyer« schrieb der deutsch-jüdische Komponist im Exil in New York; Texte lieferten die US-Autor:innen Maxwell Anderson und Ira Gershwin. Weill starb kurz darauf jedoch unerwartet und konnte sein Werk nie beenden. John von Düffel und setzte es 2014 fort, verpasste dem Text einen modernen Anstrich und brachte das Werk 2014 erstmals auf die Bühne. Die Berliner Premiere fand am 18.02.2023 unter musikalischer Leitung von Kai Tietje statt. 

Komische Oper Berlin Tom Sawyer
© Barbara Braun

Die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn sind weltweit bekannt und wurden viele Male adaptiert. Obwohl die Komische Oper sonst oft für eine sehr zeitgemäße Inszenierung und moderne Texte steht, bleibt diese Inszenierung von Tobias Ribitzki nahe am Original. Dass älter aber nicht uncool heißt, zeigt Stefan Rieckhoff in seinem fulminanten und vielseitigen Bühne- und Kostümbild. Von großen Dampfern über Tropfsteinhöhlen, schwebende Fässer und einen gigantischen Gartenzaun, den der Protagonist Tom zur Strafe komplett streichen muss, fährt er wieder alles auf, was es braucht, um kleine und größere Kinder fürs Theater zu begeistern. 

Taffe Frauen, mächtige Väter und ein Mord

Und vielleicht ist es gerade diese raue Zeit des 19. Jahrhunderts, die die Geschichte für Kinder so greifbar und spannend macht. Zum Beispiel mit der Entscheidung, Frauenrollen zwar taff und präsent darzustellen, ihnen aber trotzdem nicht den Mittelpunkt einzuräumen und sie durchaus überzogener und williger darzustellen, als es heute geschrieben werden würden. So geht Sopranistin Josefine Mindus in der Rolle von Sawyers Schwarm Becky Thatcher am Ende des Stückes zwar selbstbewusst mit den Jungs angeln, singt ansonsten aber auch gerne mal von starken Männern und ihrem mächtigen Vater. 

Und es ist auch der Mut, Kindern gutes Schauspiel zuzutrauen. Als Christoph Späth als Killer Joe die Bühne betritt und dort für Tom, Huck und alle anderen gut sichtbar einen Mord in Western-Marnier begeht, welchen er später dem alkoholisierten Muff Potter, gespielt von Carsten Sabrowski, in die Schuhe schiebt, ist es ganz still im Saal. Harter Stoff in einem Stück ab sieben Jahren, doch die Musik und der fantastische Kinderchor fangen die Stimmung gut ab und weiter geht das wilde Abenteuer. Ob man seinen Kindern diesen Stimmungswechsel zutraut, bleibt wohl eine individuelle Entscheidung. 

Tom Sawyer Kurt Weill
© Barbara Braun
Komische Oper Berlin Tom Sawyer
© Barbara Braun

Ein cooler Musical-Western

Und wenn man von Tom Sawyer und Huckleberry Finn in der Komischen Oper  spricht, muss man auch über Tom Schimon und Michael Heller in diesen Rollen sprechen. Die beiden sind eigentlich genrefremd, kommen nicht aus der Oper, sondern sind ausgebildete Musicaldarsteller. Genau die braucht es aber für diese Partitur und vor allem für den Charakter einer Kinderoper. Statt langer Arien und schweren Opernklängen singen sie eingängige Melodien und wilde Belts. Das geht ins Ohr, das macht Spaß und man merkt den beiden selbsternannten »Bühnenbuddys« ihre Freude am gemeinsamen Spiel in jeder Minute an. Egal, ob sie gemeinsam die Schule schwänzen, den Schulliebling Alfred Temple – eine souverän-schnöselige und definitiv sehr unterhaltsame Darstellung von Ferdinand Keller – ärgern, sich reihenweise mit Mädchen verloben oder einen Mordfall aufklären. Großartig. Alle beide!

Nur gegen eine sind sie machtlos: Tante Polly. Zur Premiere gleich dreifach verkörpert. In fantastischem Schauspiel von der erkälteten und deshalb stimmlosen Altistin Caren van Ojien, deshalb großartig synchronisiert von der Souffleurin Elise Kaufman und eingängig gesungen von der Leiterin des Kinderchores Dagmar Fiebach. So viel Professionalität und Spontanität wünscht man sich viel öfter in diesen Fällen. Sehr beeindruckend! 

 

Kurzum: »Tom Sawyer« in der Komischen Oper ist ein cooler Musical-Western, ein amüsanter Krimi, eine wilde Ode an die Freundschaft und vor allem an die Liebe für mutiges Kindertheater. Wer Tom Sawyer in der Komischen Oper sehen möchte, hat in dieser Spielzeit noch bis April Zeit. Alle Vorstellungen sind nahezu ausverkauft, Restkarten gibt es spontan sicher. 



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