#Krimikreuzverhör mit Clemens Murath: »Man muss wissen, wovon man schreibt«

Krimikreuzverhör Clemens Murath

Abou-Chakers, Organhandel und Hardboiled-Thriller

Clemens Murath ist Drehbuchautor und Schriftsteller in Berlin. Sein erster Hardboiled-Thriller »Der Libanese« erschien 2021 bei Heyne Hardcore. Mit »Der Bunker« setzte er die Reihe um den LKA-Ermittler Frank Bosman im letzten Jahr fort. Murath schrieb zudem über dreißig verfilmte Drehbücher, viele davon wurden erfolgreich ausgezeichnet.

Martin Krist und ich sind große Fans der schnellen, sprachlich sehr harten und kompromisslosen Bücher von Clemens und wollten mit ihm genau darüber sprechen. Hat er wirklich mit einem albanischen Organhändler türkische Soaps geguckt? Warum ist er so gemein zu seinen Figuren? Wo liegen die Unterschiede zwischen Drehbuch und Kriminalroman und warum kauft man eigentlich Gras im Görlitzer Park?

Garry Disher

Übrigens

Dieses #KrimiKreuzverhör habe ich zusammen mit Martin Krist geführt. Auszüge des Gesprächs mit Clemens Murath findet ihr in den »Bösen Briefen«, seinem monatlich erscheinenden Krimi-Newsletter. Lest dort für zahlreiche weitere Interviews, Einblicke in seine Autorenwerkstatt, exklusive Buchbesprechungen und vieles mehr unbedingt vorbei!

»Wer nicht mitspielt, geht unter.«

Clemens, Heyne Hardcore wurde eingestellt – müssen wir uns Sorgen um Frank Bosman machen?

Ja, das müssen wir. Am Ende wurde Heyne-Hardcore abgewickelt, weil ein so ambitioniertes Programm jenseits des Mainstreams einfach nicht genug Leser gefunden hat, warum auch immer. Schwieriges Umfeld, rückläufige Zahlen, Krieg, Inflation, Zukunftsangst, da kommt einiges zusammen, und auch Bosman wird es schwer haben, einen neuen Verlag zu finden. Schade, das ganze Projekt ist als Trilogie geplant. Aber mal sehen, vielleicht dreht sich der Wind ja auch mal wieder.

Grundsätzlich muss man sich um Bosman sorgen, du mutest ihm extrem viel zu? Warum so gemein?

Frank Bosman steht in der Tradition der klassischen Hardboiled Ermittler, die immer ordentlich auf die Schnauze kriegen und mit jeder Niederlage entschlossener und stärker werden. Warum das so ist? Weil es immer um alles geht, weil es keinen Weg zurück gibt, weil es außer dem Sieg nur noch die Niederlage gibt. Da wird es dann existentiell. Aber so ist das Leben. Es ist kein sozialdemokratischer Kuschelkurs, wie uns all die Jahre eingeredet wurde, es ist brutal und hart, und wer nicht mitspielt geht unter.

Fällt es dir leicht, so direkt und vulgär, oftmals aber auch zynisch und schwarzhumorig zu schreiben, wie deine Figuren sprechen? Wie können wir uns die Arbeit am Roman und den Dialogen vorstellen?

Es vergeht ziemlich viel Zeit, bevor ich anfange ein neues Buch zu schreiben. Das hat weniger mit einem Thema zu tun, als vielmehr mit einem Sound. Wenn ich diesen Sound habe, höre ich die Stimmen meiner Figuren, und dann kann ich sie auch schreiben. Dann geht das wie von alleine. Aber wenn der Sound nicht stimmt, liest es sich wie Papier. Dann muss man nochmal von vorne anfangen. Ich habe meist eine vage Idee von dem, wo ich hinwill, aber keinen ausgearbeiteten Plot. Unterwegs kommen einem ohnehin noch bessere Einfälle. Oft verrennen sich meine Figuren und dann besteht der Reiz darin sich auszumalen, wie sie aus dem Schlamassel wieder rauskommen und was das dann für Konsequenzen haben wird. So entwickelt sich der Plot aus den Charakteren und ihren meist falschen Entscheidungen. Die Handlung treibe ich gerne mit Dialogen voran, die das oftmals ziemlich krude mindset der Sprecher enthüllen. Ich liebe Dialoge, denn das ist es, was uns von Tieren unterscheidet: wir reden.

»Man muss wissen, wovon man schreibt.«

Nicht nur Bosman ist abgefuckt, auch Berlin – »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.« Wieviel Berlin-Realität steckt in deinen Romanen?

Das ist meine Stadt wie ich sie erlebe. Alles real, die Schauplätze gibt es, und selbst die Szene, wo Bosman eine Auszeichnung für die am geilsten eingetretene Tür bekommt, ist sauber recherchiert. Habe ich in einem Tagesspiegel Artikel über eine Polizeitruppe gelesen, die jeden Monat einen entsprechenden Preis ausgelobt hat. Und was Drogen, schattige Immobiliendeals und Clan-Kriminalität betrifft, konnte man ja zuletzt ausführlich in der Presse lesen.

Grundsätzlich: Wieviel Realität braucht ein guter Kriminalroman?

Hier hat Aristoteles schon alles zu gesagt: »Die Aufgabe der Kunst ist es nicht, die Wirklichkeit abzubilden, sondern das Wahrscheinliche.« Um eine Geschichte wahrscheinlich zu machen, muss sie allerdings fest in der Wirklichkeit verankert sein und einem Plausibilitätsabgleich standhalten. Das heißt, man muss wissen, wovon man scheibt, sonst bleibt es artifiziell und wirkt ausgedacht.

Der Libanese von Clemens Murath
»Der Libanese« ist Clemens’ Thrillerdebüt.

Daran anknüpfend: wie sieht deine Recherche aus – saßt du beim Libanesen Arslan Aziz auf dem Sofa oder hast mit dem Organhändler Remi Ekrem türkische Soaps geguckt? 

Ja, so ungefähr. Ich lebe seit über vierzig Jahren in Kreuzberg und Neukölln, ich kenne den Beat der Straße, habe türkische Freunde, hab’ auch schon mal Gras im Görlitzer Park gekauft. Hip-Hop-Videos mit arabischen Produzenten und Clangrößen geschaut, Zeitung gelesen, Bücher über die Herkunft der Clans, Dokus gesichtet und mit Polizisten geredet. Darüber hinaus habe ich etlichen Gerichtsverhandlungen gegen die Remmos und die Abou-Chakers beigewohnt, abenteuerlich, kann ich da nur sagen. Man erkennt die Grenzen des Rechtsstaats. Für das zweite Buch, den »Bunker«, bin ich nach Albanien gereist, auf der Suche nach dem Gelben Haus, in dem während des Kosovo-Krieges serbischen Gefangenen die Organe entnommen und verkauft wurden, um damit Waffenlieferungen zu bezahlen. Das ist dann ja der Motor der Geschichte geworden. Ich liebe es zu recherchieren, man lernt jedes Mal unheimlich viel neues dazu, auch wenn am Ende immer nur ein Bruchteil davon in den Texten auftaucht.

Interview mit Clemens Murath
© Erik Weiss / Random House

»Es sind die Charaktere, die den Unterschied machen.«

Mit Elaine Szolnay schreibst du in »Der Bunker« erstmals eine Frau als zweite Hauptfigur an der Seite von Frank Bosman. Die UN-Sonderermittlerin geht bei ihren Nachforschungen nicht nur sprichwörtlich über Leichen. Am Ende hatten wir das Gefühl, sie war trotzdem nur Mittel zum Zweck, um die Konsequenz und Härte des Gesamtfalls darzustellen. Ist das bei allen deinen Figuren so oder hegst du als Autor trotz allem gewisse Sympathien für die eine oder den anderen?

Ich liebe alle meine Figuren, all ihre Schwächen und Selbstbetrügereien, sonst würde ich sie nicht schreiben. Dass Elaine dabei für euch etwas zu kurz gekommen ist, tut mir leid. Vielleicht liegt es daran, dass sie schon früh die Bühne verlässt und dann in Rückblenden erzählt wird.

Was macht für dich außerdem einen guten Kriminalroman aus?

Spaß an den Figuren. Der Fall interessiert mich ehrlich gesagt nicht sonderlich und die klassischen Mysteries langweilen mich meistens. Es sind die Charaktere, die den Unterschied machen, und wenn die mich packen in all ihrer Menschlichkeit, dann ist das groß.

Deine Bosman-Romane sind cineastisch geschrieben, kurze Szenen, schnelle Schnitt – oder: hardboiled. Dein Genre?

Ich komme ja vom Drehbuch und habe das, was ich da gelernt habe, bewusst eingesetzt für meine Prosa. Also solides dramaturgisches Handwerk, szenisches Schreiben, show don´t tell, pointierte Dialoge in denen sich der Charakter zeigt. Denn eins ist ja klar, man konkurriert nicht mehr nur mit anderen Büchern, sondern natürlich auch mit den Streamern und den horizontal erzählten Serien – und so sind meine Bücher gebaut: multiperspektivisch mit sich überkreuzenden Storylines.

»Ehrlich gesagt finde ich meine Bücher streckenweise ziemlich witzig.«

Clemens Murath

Eigentlich schreibst du Drehbücher für TV-Krimis. Was macht für dich den Unterschied zum Kriminalroman aus?

Ein Drehbuch für einen TV-Krimi hat etwa 90 Seiten, dünn bedruckt. Ein Roman hat mehrere hundert Seiten, dicht bedruckt. Die müssen gefüllt werden, so dass es dem Leser nicht langweilig wird. Der Trick ist, möglichst nahe an den Figuren zu bleiben, ihre Gedankenwelt teilen. Oft haben Romane weniger Handlung als ein TV-Krimi und sind trotzdem spannend. Es ist die Innenschau, die einen Kriminalroman von einem TV-Krimi unterscheidet. Aber das gilt natürlich generell für Romane.

Wenn du dich entscheiden müsstest – Drehbücher oder Romane?

Schlechte Frage. Ich mag beides.

Gibt es andere Genres, die dich reizen? Wenn ja, welche?

Dramen. Geschichten mit archetypischen Charakteren, die den Tanz des Immergleichen aufführen. Aufstieg und Fall, Niedertracht und Großmut, Demut und Stolz, oft mehrere Seiten eines Charakters. Und ich mag Komödien. Ehrlich gesagt finde ich den Libanesen oder auch den Bunker streckenweise ziemlich witzig.

Wir haben gelesen, dein Bosman-Debüt »Der Libanese« soll als Sechsteiler verfilmt werden. Das Drehbuch bzw. Konzept dazu hast du selbst verfasst. Wir stellen es uns schwer vor, dem Tempo und den Figuren im Buch in einer Serie gerecht zu werden. Kannst du uns schon etwas mehr dazu erzählen?

Der Verfilmungsrechte des Romans sind optioniert und ich bin als Autor und Showrunner in dem Projekt involviert. Zurzeit versuchen wir die Finanzierung zustande zu bringen. Zum Inhalt kann ich so viel sagen, dass wir von der Romanvorlage natürlich hier und da abgewichen sind, um Erzählstränge zu bündeln und den Erfordernissen einer Seriendramaturgie gerecht zu werden.

Ihr seid neugierig geworden und möchtet ein Buch von Clemens Murath lesen? 

Einen Überblick seiner Werke findet ihr hier: 

Buchbesprechungen zu Clemens Murath

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