Es spielte am 08.06.2023 im Musicaldome Köln das Ensemble von Mehr-BB-Entertainments MOULIN ROUGE unter Regie von Alex Timbers, Buch nach John Logan und dem gleichnamigen Broadway-Musical von 2019. Die musikalische Leitung übernahm Justin Levis, die Choreografien sind von Sonya Tayeh.
Sitzplatzempfehlung: Reihe 21, Platz 30 für den optimalen Überblick.
Egal wie sündhaft eure Lust, egal wie lustvoll eure Sünde
Den Musicalfilm von 2001 mit Nicole Kidman und Ewan McGregor kennt wohl jeder, das Musical zu diesem Hollywood-Klassiker vielleicht die wenigsten. Seit 2019 spielt die Show in New York, am Westend und seit Ende 2022 auch im Musicaldome in Deutschland.
Natürlich geht’s um die Liebe. Der junge Schriftsteller Christian kommt nach Paris, um sich der Revolution der Bohème anzuschließen. Im weltberühmten Nachtclub Moulin Rouge trifft er auf den Star der Stadt: die bezaubernde Sängerin und Kurtisane Satine. Er verliebt sich sofort in sie, doch der Club ist in Gefahr und Satine muss den Duke of Monroth als Finanzier gewinnen. Als Christian sich als dieser ausgibt, ist das Verwechslungsspiel perfekt und der Liebe der beiden scheint nichts mehr im Weg zu stehen. Doch Satine ist todkrank und ihre Freunde sind auf sie angewiesen …
Huren, Bettler und Bohemians
Eines ist am Broadway ebenso klar wie in Deutschland: Jukebox funktioniert und Musicalfilme sowieso. Wie passend, dass die Filmvorlage von MOULIN ROUGE sogar schon die passenden Lieder mitbringt, die in schönster &JULIET-Manier (mal ehrlich, die Parallelen zu dieser Show aus dem selben Jahr sind unverkennbar und ich lieb’s!) hier und da poliert und durch modernere Hits und Klassiker der 80er, 90er und 2000er aufgestockt werden. Als Zuschauer:in möchte man bei jedem Song am liebsten aufspringen und mittanzen – wild zu Bad Romance und Toxic, verliebt zum Medley der größten Lovesongs aller Zeiten, feiernd zu “Shut Up and Raise your Glass” und emotional berührt vom wunderschönen Neu-Arrangement zu Perrys “Firework”. Dass das auch in deutscher Übersetzung funktioniert – ich hätte nicht daran geglaubt. Vielleicht habe ich aber auch den Kölner-Charme unterschätzt. Spätestens als neben den übersetzten Songs mit englischem Einschlag der GZSZ-Titelsong oder Meys “Über den Wolken” erklang, hatte das Ensemble alle auf ihrer Seite.
Because they can, can fucking can!
Die Show vereint all das, was ein klassisches Musical braucht: schmissige Musik, pointierte Texte, eine packende Geschichte, aufwendige Bühnenbilder, Emotionen, Feuerwerk, Effekte und vor allem gute Darsteller:innen. Und von letzterem gibt es an diesem Abend mehr als genug. Allen voran natürlich Sophie Berner als Satine. Sie ist wirklich das Wunderwerk einer Musicaldarstellerin. Ihr Schauspiel und ihre Grazie sind bewundernswert und als sie anfing zu singen, hatte ich wahlweise Gänsehaut oder wurde von ihrem starken und hohen Rockbelt aus dem Saal gefegt. Was für eine Frau, was für eine Ausstrahlung, was für eine Stimme! An ihrer Seite steht Riccardo Greco als Erstbesetzung des Christian. Ihn habe ich schon live erlebt und in dieser Rolle vielleicht etwas unterschätzt. Seine glasklare Stimme passt zu Berner und vor allem durch sein komödiantisches Timing und seine starke Bühnenpräsenz ist er der perfekte Bad Boy – hätte ich ehrlich gesagt nicht erwartet. Und auch die restliche Cast kann sich sehen lassen. Mit Gavin Turnbull erlebe ich in der Rolle des Club-Besitzers Harold den aufgeweckten Showmaster, Tobias Bieri mimt den Duke mit aalglatter Arroganz und bester Arschloch-Haltung. Christians Freunde, den temperamentvolle Spanier Santiago und den alteingesessenen Franzosen Toulouse-Lautrec verkörpern Alvin Le-Bass und Pascal Cremer als lustige Sidekicks mit überzeugenden Solos.
Baby, you’re a Firework!
Und dann ist da noch Annakathrin Naderer als Nini und Principal-Club-Dancer. Abgesehen davon, dass sie aus jedem Ensemble sofort heraussticht und man einfach nicht weggucken kann, wenn sie sich bewegt, spielt sie auch noch eine der anspruchsvollsten Rollen moderner Musicals. In ihrem Solo zu “Bad Romance” tanzt sie an der Seite von Pascal Cremer einen Tango par excellence, singt parallel die krassesten Töne und spielt die Rolle der taffen, aber herzlosen Frau, die insgeheim der Star des Moulin Rouge sein möchte, mit so viel Leidenschaft, dass es eine große Freude ist, ihr dabei zuzusehen. Wahnsinn!
Und Wahnsinn ist auch das Ensemble hinter Nini. Die dominante und starke Chocolat, interpretiert von Olivia Irmengard Grassner, Shanna Michelle Slaap als schöne Arabia, Oxa als süße Baby Doll und natürlich die unzähligen Tänzer, die die Bühne zum Beben bringen. (I look at you Calum Flynn and Alessio Impedovo!)
Voulez-vous coucher avec moi, ce soir?
Und ja, auch das Bühnenbild betreffend habe ich Mehr-BB-Entertainment wirklich unterschätzt. Die Kulisse reicht von der versifften Bruchbude Frankreichs bis zum romantischen Liebesnest im Elefant des Moulin Rouge. Über den Dächern von Paris singen Christian und Satine ihre Lieder, um gleich darauf direkt im samtverkleideten Moulin Rouge zu stehen. Genau diese Kulisse zieht sich durch den gesamten Zuschauerraum bis ins Foyer. Die Konsequenz einer Inszenierung wird hier wirklich bis in die letzte Glühbirne durchgezogen – mit Tänzer:innen im goldenen Käfig in den Pausen und vor der Show. Genau das ist für mich perfektes Liveentertainment. Natürlich ist das alles glattgebügelt, hochpoliert und makellos – aber doch, ich gebe zu, obwohl mein Herz Off-Shows gehört, kann mich diese gut gemachte Illusion sehr beeindrucken.
Denn genau das war es: die perfekte Illusion, das perfekte Liveerlebnis. Ich habe schon lange keine so gute Jukebox-Show mehr gesehen, die sich selbst so ernst nimmt und nicht im Altgewand irgendeines 80er-Jahre-Films daherkommt. Das sind Broadway, 20er-Varieté und hervorragende Unterhaltung in einem mit dem pompösen Anspruch, die glamouröseste, offenherzigste und wildeste Show Deutschlands zu sein. Und ich sag mal so: Der Schuss war ein Volltreffer.