& Julia in Hamburg: Was für eine Musicalparty!

undjulia in Hamburg Musical

Songwriter Max Martin machte die Backstreet Boys groß, arbeitete für und mit Britney Spears, Katy Perry, Justin Timberlake und Celine Dion. »&JULIA« ist die West-End-Antwort auf seine beeindruckende Setlist. Uraufgeführt in London und später erfolgreich am Broadway, feiert dieses (zur Abwechslung mal nicht selbstreferenzielle) Jukebox-Feuerwerk nun Premiere in Hamburg. Im Stage Operettenhaus, direkt auf der Reeperbahn – gibt es einen besseren Standort dafür? Ich durfte die Show vorab sehen und kann euch jetzt schon sagen: Dieses Spektakel solltet ihr nicht verpassen!

Sitzplatzempfehlung: Reihe 15, mittig (für den perfekten Gesamtüberblick), Reihe 5, mittig (für die Details)

Wo ein William, da auch eine Tragödie

Lasst uns mit der wichtigsten Frage beginnen: Nein, es hat sich niemand an einer deutschsprachigen Übersetzung der Songs verkünstelt. Für den flüssigen Einstieg wurden ein paar deutsche Zeilen eingebaut; ansonsten gilt es, Banger an Banger im Original zu zünden. Das funktioniert dank eindeutigem Staging und der Showband unter Leitung von Philipp Gras auch perfekt. Thema erledigt.

Apropos Thema. Oder wie Shakespeare sagen würde: Wo ein William, da auch eine Tragödie. (Ja, er macht was mit Worten und ist ein Mann.) Dachte er, doch seine Frau Anne Hathaway hat für seine neue Show “Romeo und Julia” andere Pläne. Warum müssen beide Hauptfiguren sterben? Wieso überlebt Julia Romeo nicht und startet mit ihren Besties May, Angelique und April ein unabhängiges Leben in Paris? Das hätte alles funktioniert, wären da nicht Julias neues Love-Triangle Francois, ihre verknallte Amme, ein frustriertes Autoren-Ego, und die größten Heartbreak-Songs der 90er und 2000er …

&JUliet Hamburg
© Johan Persson (Stage Entertainment)

Eine der erfolgreichsten internationalen Shows

»&Julia« war nicht grundlos eine der erfolgreichsten internationalen Shows ever. Sie ist kurzweilig, modern gespielt, überzeugt auf den Punkt mit hoher Gagdichte und kann sogar ein bisschen mehr Tiefgang als vieles andere aus der Jukebox. Vor allem dank der achtundzwanzig Hits von Max Martin. Neu arrangiert, fürs Musical poliert – ein bisschen Rockbelt hier, viele Riffs da, eine gewaltige Harmonie zum Schluss. Showstopper an Showstopper. Sogar das (sorry, Hamburg!) leicht versnobte Medienpublikum stand mehrfach auf den Sitzen während der Show. Mir persönlich waren dann nur die Dialogübersetzungen von Jana Mischke etwas zu draufgesetzt. Das “Denglisch” wirkte zu bemüht jugendlich um den letzten Rest Selbstironie. Weniger ist für mich mehr, wenn Max Martin inmitten von Hip-Hop-Renaissance-Broadway, bunten Kostümen, einem Powerhouse-Ensemble und der ganz großen Showbühne die Konstanz ist. 

© Johan Persson (Stage Entertainment)

Das ist: Cringe, Comedy, Cool

Aber ist er wirklich die Konstanz oder sind es nicht viel mehr die Figuren und der wirklich brillante Hamburger Cast. Stage Entertainment gönnt sich Name-Dropping, aber das zurecht. Und zum Glück gibt es dieses Mal auch phonetisch keine Probleme. Da sind Jacqueline Braun und Carlos de Vries als Amme Angelique und Francois Vater Lance. Nach weniger als einer halben Stunde landen die beiden ehemaligen Lovebirds in Paris wieder in der Kiste. Oder um’s mit Lance’ Worten zu sagen: You make me feel like I’m livin’ a teenage-dream. Comedykiste passt, die Prise »Cringe aufs Alter« auch. Ich hab es restlos geliebt, was die beiden da hinzimmern. 

Hinzimmern wollte auch Andreas Bongard als Shakespeare, bevor seine Frau die Show auseinandergenommen hat. Leider hat Bongard in diesem Stück gesanglich nicht viel zu tun, die Interpretation als gebeutelter Autor, der versucht, die Kontrolle über sein Stück zurückzuerlangen, funktioniert aber trotzdem richtig gut. Und mit der »Bois-Band« sorgt er im zweiten Akt dann sogar noch für einen – vielleicht auch den – Showstopper des Abends. Backstreet’s Back, alright? 

&Julia Hamburg
© Johan Persson (Stage Entertainment)
© Johan Persson (Stage Entertainment)

The Bois-Band ’s back, alright!

Der Bois-Band schließen sich auch Oliver Edward als Lance’ Sohn Francois und Julias Bestie May an. Edward sehe ich immer gerne auf einer Bühne. Hier in der Rolle des zurückhaltenden Teenagers, der so gar nicht in das Bild seines Vaters passen will und sich schließlich Hals über Kopf einer Hochzeit mit Julia hingibt, um nicht ins Militär zu ziehen. Und das, obwohl es für ihn eigentlich nur May gibt. Immer und immer wieder May. It’s gonna be May.  Meine absolute Lieblingsfigur der Show. Bram Tahamata spielt Julias Bestie mit so viel Liebe, Attitude und sorgt bei mir mit »I’m not a Girl, not Yet a Woman« für den ersten Gänsehautmoment des Abends. Tahamata ist bereits aus anderen Musicalproduktionen bekannt, doch diese Rolle ist them wirklich auf den Leib geschrieben worden. Es war schön zu erleben, wie selbstverständlich eine nonbinäre Lovestory auf der Bühne sein kann. Immerhin basiert Shakespeares Erfolg auf Männern in Frauenkleidern, die sich als Männer verkleiden. 

Und dann sind da noch die eigentlichen Hauptfiguren des Stücks. Raphael Groß als Lauch. Äh, Romeo. Sagt Anne!) Auch Groß kennt man auf den Musicalbühnen. Doch nicht als Plottwist, und schon gar nicht als so lustigen. Wir erinnern uns an das Autoren-Ego: Midshow beschließt Shakespeare, dass auch Romeo sein Comeback haben darf und so zieht er mit »It’s my Life« ins Stadion ein. Doch er muss erkennen, dass seine Avancen auf Julia nicht mehr ganz so zünden – immerhin hat sie den Trophäensammler längst durchschaut und plant die nächste Hochzeit. Gutes Mädchen. Romeo spielt also nur noch die zweite Geige und tröstet sich mit jeder Menge »Emotions« und Haarspray durch den Egotrip. Ob er doch noch sein Happy End bekommt? Man weiß es nicht. 

Chiara Fuhrmann ist Julia in Hamburg

Female Empowerment meets Musicalparty

Zurück zu den Hauptfiguren. Anne Hathaway in der Interpretation von Musicalstar (und ich nutze dieses Wort wirklich nicht häufig!) Willemijn Verkaik. Als April schreibt sie sich selbst in die Show, übernimmt nach Kind, Küche und Mutterdasein kurzerhand die Show ihres Mannes und zeigt ihm, wie der William läuft. Verkaik ist vor allem als Elphaba (»Wicked«) oder Elsa (»Die Eiskönigin«) bekannt. Sie jetzt so leicht, so selbstironisch, so cool auf der Bühne zu erleben, macht Spaß. Und damn, sie kann tanzen! Und lange hält sie sich gesanglich wirklich zurück, bis sie im zweiten Akt ihr Solo bekommt und singt. Die Frau ist nicht grundlos ein Phänomen und macht Celine Dion mit ihrer Interpretation von »That’s the way it is« Konkurrenz. Spontane Standing Ovations, kaum endender Applaus. Den Grundstein für’s Female Empowerment in diesem Stück legt sie. 

Und sie spielt dieses Female Empowerment von Anfang an aus: Chiara Fuhrmann in ihrer (endlich!) ersten Firstcast-Rolle als Julia. Die Rolle bringt nicht allzu viel Tiefgang mit, doch Fuhrmann beltet, tanzt und spielt sich von Anfang an so präsent und bestimmt in die Mitte des Ensembles, dass man nur noch sprachlos zugucken kann. Ob »Baby, one more time!«, »´Since U Been Gone« oder »Oops!«, sie fühlt einen Hit nach dem anderen. Und hebt sich mit »Roar« mitten im zweiten Akt in ein spontanes erstes Finale. Der Saal tobte. Was für eine inspirierende und energiegeladene Darstellerin ist Chiara Fuhrmann bitte? Ich habe jede Sekunde ihrer unabhängigen, feministischen und starken Julia geliebt. 

 

Hit me Baby one more time!

Das Fazit lest ihr heraus, oder? »&Julia« ist für mich eines der besten Stücke, das Hamburg seit langem gesehen hat. Weil es kein verstaubter Klassiker ist. Weil es hochaktuelle Themen anspricht, ohne sich selbst zu ernst zu nehmen. Weil die Songs von Max Martin zünden und jede Rolle überzeugt. Weil es eine Bühnenshow im Broadway-Format ist. Weil es zeigt, wie vielseitig das Genre Musical ist. Weil die Flintas endlich mal mehr auf einer Bühne sagen und singen als die Männer. Und weil bisher wirklich niemand »Julia« vor Romeo gestellt hat. Was für eine Musicalparty. Lauft!

 

PS: Bitte liebe Marketingabteilung. Verkauft diese Show besser. Musical darf seinen Preis haben, Musical musste in Deutschland aber leider auch einmal zu oft verargumentiert werden. Erklärt endlich, was da passiert und warum diese Show so viel kann. Sonst wird das nichts. Danke. 

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