#Krimikreuzverhör mit Frank Goldammer: »Mich fasziniert, wie Vergangenheit und Geschichte unser Leben beeinflussen«

Interview Frank Goldammer

Nudossi mit Butter, Wende, Ossis und Verlagspolitik

Frank Goldammer wurde 1975 in Dresden geboren und ist gelernter Maler- und Lackierermeister. Neben seinem Beruf begann er mit Anfang zwanzig zu schreiben, verlegte seine ersten Romane im Eigenverlag. Mit »Der Angstmann«, Band 1 der Krimiserie mit Max Heller, gelangte er sofort auf die Bestsellerlisten. Er ist alleinerziehender Vater von Zwillingen und lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt.

Bei Instagram stellt Frank Goldammer in seinen Formaten »Goldammers Bücherregal« und »Goldammers Schallplattenschrank« regelmäßig seine gesammelten Schätze und persönlichen Empfehlungen vor. Vielleicht waren sie es, die Martin Krist und mich dazu inspirierten, ihn zu einem #Krimikreuzverhör einzuladen. Ganz sicher waren es jedoch seine Bücher und Geschichten – spannende Kriminalfälle auf der einen Seite, historische Romane auf der anderen – ,über die wir mit Frank sprechen wollten. Außerdem erzählt er, wieso in jeder seiner Figuren auch ein bisschen was von ihm selbst steckt, weshalb Spreewaldgurken und Nudossi (mit Butter!) in seinen Romanen zur Wendezeit keinen Platz finden, warum auch im Nationalsozialismus Mörder gesucht wurden und wie er selbst die DDR erlebte. 

Garry Disher

Übrigens

Dieses #KrimiKreuzverhör habe ich zusammen mit Martin Krist geführt. Auszüge des Gesprächs mit Frank Goldammer findet ihr in den »Bösen Briefen«, seinem monatlich erscheinenden Krimi-Newsletter. Lest dort für zahlreiche weitere Interviews, Einblicke in seine Autorenwerkstatt, exklusive Buchbesprechungen und vieles mehr unbedingt vorbei!

»Es war lange mein Traum, vom Schreiben zu leben.«

Die wichtigste Frage zuerst: Nutella – mit oder ohne Butter?

Immer mit Butter, aber ich bin gar nicht der Nutella-Freak.

Einst Handwerksmeister, jetzt Kriminalschriftsteller – wie das?

Das lief ja viele, viele, viele Jahre parallel, ich hab mit Anfang Zwanzig begonnen zu schreiben und gleichzeitig auch meine Meisterausbildung absolviert. Vom Schreiben zu leben war ein lang gehegter Wunsch, dem ich auch vieles untergeordnet habe und der mich viel Kraft gekostet hat, doch nun werde ich dafür belohnt. Die Firma ist abgegeben und ich kann mich zu hundert Prozent dem Schreiben widmen.

Du bist geboren in Dresden, lebst noch heute dort. Was bedeutet dir persönlich die Stadt?

Heimat natürlich, das Bewusstsein, dass Dresden eine der schönsten Städte Deutschlands ist, nicht nur optisch, auch vom Aufbau her, seiner Größe, seines Umfeldes. Und doch ist es nicht allein nur Liebe, die mich mit der Stadt verbindet. Die Bewohner selbst sind ja ein sehr streitbares und manchmal auch verbohrtes Völkchen, und manchen möchte man gern am Kragen packen und ordentlich durchschütteln.

Dresden ist auch Schauplatz deiner Romane. Wie sehr unterscheidet sich das fiktive, kriminelle von dem realen Dresden? 

Die Schauplätze und ihre geschichtlichen Hintergründe sind schon sehr real. Ich versuche, diese Gegebenheiten möglichst genau darzustellen. Fiktiv sind die Personen und die Handlungen, auch wenn ich natürlich oft auf reale Personen und Ereignisse zurückgreife oder mich sozusagen an ihnen anlehne.

»Die Realität bringt meist die viel krasseren Geschichten hervor.«

Ein Krimiautor, der von sich selbst sagt, dass er keine Krimis liest, wie passt das zusammen?

Echt prima meine ich. Ich rede mir immer ein, dass ich dadurch gar nicht erst in Versuchung gebracht werde, Handlungen oder Schreibweisen zu kopieren, wobei ich das natürlich niemandem unterstellen will. Es ist nur so, dass die Realität meist die viel krasseren Geschichten hervorbringt und mir gar kein Bedarf an fiktiven Handlungen anderer Kolleginnen und Kollegen besteht. Was mich natürlich nicht daran hindert, mir selbst solche Geschichten auszudenken.

Bist du ein historischer Autor, der spannende Bücher schreibt, oder ein Krimiautor, der historische Schauplätze für seine Geschichten wählt?

Eher letzteres, ich bin da ja auch eher zufällig hineingeraten und habe Gefallen daran gefunden. Ich schreibe aber auch jederzeit gern Geschichten die keinen Historischen Bezug haben.

 

Frank Goldammer Interview
Der Angstmann« ist der erste Fall für Kriminalinspektor Max Heller

Der Wandel Dresdens hat es dir angetan. Deine erfolgreiche Serie um Kriminalinspektor Max Heller beginnt 1944 und setzt sich fort über die Nachkriegsjahre bis 1961. Du sagst, dein Großonkel hat dich zu dieser Geschichte und noch einigen mehr inspiriert, wie kam es dazu?

Der hat eines Tages, nach vielen Jahrzehnten des Schweigens, begonnen, von seinen Jugend und Kriegserlebnissen zu erzählen und benötigte jemanden, der das dokumentiert. Ich war damals so überrascht, welches Potential diese Geschichten hatten und dass es doch eine Möglichkeit geben müsste, dies irgendwie wiederzugeben – ohne belehrend erhobenen Zeigefinger und mit einigem Unterhaltungswert. Denn ich glaube, wenn man Menschen etwas von einer Zeit wiedergeben will, die droht verloren zu gehen, sollte man es gut verpacken, und vor allem vermenschlichen, damit es nicht in dröger Historie endet.

Gibt es für Heller oder seine Ermittlungen in Dresden also reale Vorbilder?

Für Heller selbst nicht, aber für viele der Geschichten in meinen Büchern.

War dir von Anfang an klar, dass die Reihe nach sieben Bänden ein Ende findet?

Ich Trottel habe die Zahl sieben damals einfach genannt, weil ich dachte, das wäre nicht zu viel und nicht zu wenig. Dann waren sieben Bände geschrieben und der Verlag sagte damals, wir sollten uns daran halten, was wir von Beginn an kommuniziert haben. ABER: Es ist noch nicht vorbei.

Hellers Geschichte ist noch längst nicht auserzählt, vor allem der junge Heller ist noch unbekannt, der, der sich noch nicht gefunden hat und längst noch nicht zu dem Mann geformt ist, den wir kennen gelernt haben. Es wird also weiter gehen mit einem Prequel, und diesmal werde ich mich hüten, irgendwelche Aussagen zu treffen, wie viel Heller es noch geben wird.

Interview mti Frank Goldammer
© Dirk Meutzner

»Anstatt gegen Windmühlen anzurennen, sollte man tun, was man kann.«

Beim Lesen von »Der Angstmann«, Hellers erstem Fall, ist uns aufgefallen, wie absurd es eigentlich ist, dass er in einer Zeit nach einem Mörder sucht, in der Politik und Führungsetagen von Mördern durchzogen sind …

Das fragte sich Heller auch, doch er sagt sich ganz einfach, ich muss das tun, was ich kann, denn Recht und Ordnung sollten auch in den schlimmsten Zeiten nicht völlig verloren sein

Heller wirkt dabei immer wieder wie das bessere Gewissen, bleibt am Ende aber trotzdem nüchtern und hält sich politisch eher zurück. Braucht es in so einer Geschichte diese Art von Charakter?

Um realistisch zu bleiben bedurfte es entweder einem überzeugten Nazi oder später Kommunisten, aber das kam für mich beides nicht infrage, auch weil mir politische »Überzeugungen« grundsätzlich suspekt sind. Also war ein Mann vonnöten, der sich selbst als nicht-politischen Menschen begreift, sich gleichzeitig aber der Tatsache bewusst ist, dass seine »Nichteinmischung« doch auch immer dem herrschendem Regime von Nutzen ist. Aber auch hier greift der Gedanke der vorigen Antwort. Anstatt gegen Windmühlen anzurennen, sollte man tun was man kann.

Uns ist außerdem aufgefallen, dass die Polizeiarbeit zu dieser Zeit natürlich eine ganz andere und durch die Kriegszeit auch viel kompliziertere ist. Kam dir das als Autor zugute?

Einfacher! Sie ist einfacher. Gerade der Mangel an Personal und Technik macht es mir leichter, Heller als intelligenten Ermittler darzustellen und mir Ermittlungsmethoden auszudenken, die geradliniger und schlichter sind, weniger auf Indizien und deren technischer Analyse beruhen.

»Über die Wendezeit herrschen immer noch vollkommen verhärtete Vorurteile.«

Frank Goldammer im Interview
© Dirk Meutzner

Deine zweite Serie um Tobias Falck, Frischling beim Kriminaldauerdienst, setzt in Dresden kurz vor der Wende ein, begleitet Falck durch den Wendewirbel. Und wieder ein Wandel. Wieso dieser?

Wandel bringt immer Veränderungen mit sich, es sind im Prinzip nur Synonyme. Und das ist natürlich immer reizvoll. Vor allem aber diese Wendezeit, meine ich, birgt noch viel Potential um »abgearbeitet« zu werden. Vieles ist in den letzten dreißig Jahren untergegangen oder wurde noch gar nicht aufgearbeitet. Ich glaube, daran scheitert gerade unsere Gegenwart, weil diese Zeit der Wende und Wiedervereinigung noch viel zu wenig objektiv betrachtet wird und noch immer völlig verhärtete Vorurteile herrschen.

Die beiden bislang erschienenen Bände tragen das Etikett »Kriminalroman«. Bisweilen beschlich uns bei der Lektüre das Gefühl, dass es dir – obwohl du Falck gleichzeitig eine Vielzahl Kriminalfälle händeln lässt – weniger um die Verbrechen geht, sondern um die gesellschaftlichen Begleitumstände: »Es war die Angst vor dem Morgen. Was kam jetzt auf sie zu? Was sollte aus ihnen werden, aus ihnen allen? Plötzlich war die Zukunft offen, aber auch ungewiss. Plötzlich schien nichts mehr sicher«, ist die vorherrschende Grundstimmung. Oder trügt dieser Eindruck?

Nein, der Eindruck ist richtig. Es war mir wichtig, viel von diesen Begleitumständen aufzuzeigen. Wie ging es den Leuten damals, was machte dieser Wandel mit ihnen, wie sind diese Euphorie, die Resignation, die Hoffnungen und Enttäuschungen, Ängste und Erfolge miteinander zu vereinbaren?

Oftmals wurden gerade die Ossi von den Ereignissen regelrecht überrollt, manchmal geschah in einer Woche mehr, als sonst in einem ganzen Jahr oder gar Jahrzehnt, da ging auch sehr viel unter.

Aber am Ende gibt es auch einen Hoffnungsschimmer: »Es lag eine seltsame Stimmung in der Luft, eine Aufgeregtheit. Keine Unterdrückung mehr, keine Zensur, keine Angst.« Eine Erkenntnis, die bei vielen heutzutage fast schon wieder verloren gegangen ist nach Corona, Krieg und anderen Krisen. Ist das deshalb auch eine Botschaft an deine Leser:innen – eine Erinnerung, wofür man einst auf die Straße gegangen ist?

Ja, meine dringende Botschaft ist immer wieder: Erinnert euch an diese Zeit, an das, was die Menschen damals geschafft haben, erinnert euch an diese Aufbruchstimmung. Warum sollte es nicht möglich sein, dies wieder aufzurufen, wenigstens in Teilen, anstatt sich niederzuschreien und zu klagen, wie schlecht doch alles sei.

Hand aufs Herz: Wieviel Goldammer steckt in Falck?

Überall steckt Goldammer drin, in allen Figuren. Falck habe ich meine Einstellung zur DDR mitgegeben. Er hegte viel Sympathie für die kleine Republik, sie ist seine Heimat, so wie sie meine war, aber natürlich ohne das aus dem Kontext zu reißen, dass ich hauptsächlich so erzogen wurde. Nach der Wende habe ich vieles auch mit anderen Augen betrachtet und musste mich genauso arrangieren wie Falck. Ich glaube, auch wenn ich jünger war, als er in meinen Büchern, habe ich doch manches von den neuen Entwicklungen mit derselben Zurückhaltung betrachtet wie er.

 

»Im Schatten der Wende« ist der erste Fall für den Kriminaldauerdienst Ost-West und Tobias Falck.

Höre ich das heute irgendwo, weiß ich sofort: »Aha, Ossis.«

Du bist ein Musik-Crack, stellst bei Insta regelmäßig Platten aus deinem Plattenschrank vor. Dafür spielt Musik in deinen Romanen aber eine erstaunlich unbedeutende Rolle. Keiner legt mal ne Platte auf, hört Musik, Bands, Konzerte. Das überrascht uns, gerade auch für Romane, die den »Zeitgeist« einzufangen versuchen; Musik ist für die Leute immer wichtig, auch gerade in Zeiten des Wandels …

Das scheitert im Lektorat. Ich weiß nicht genau warum, aber sobald ich konkret werde in meinen Texten, was Musik und Bands betrifft, kommt die Löschtaste zum Einsatz. Aber zugegeben, ich lege da nicht ganz so den Wert darauf, weil doch jeder Mensch andere Musik mit dieser Zeit verknüpft und sich seinen Teil dazu denken soll. So wie ich mich auch bei der Beschreibung meiner Figuren nicht allzusehr an Kleinigkeiten und Details aufhalte, soll sich jeder seine Figur selbst ein wenig kreieren.

Überhaupt findet auch nur wenig DDR in den Romanen statt, ist auf das Notwendigste reduziert: ein Bild von Honecker an der Wand, die Stasi wird erwähnt, Trabbis, auf die man 15 Jahre warten muss – aber kein Nudossi, kein Rotkäppchensekt, keine Spreewaldgurken. Mit Absicht?

Das haben so viele getan, manches ist schon so abgedroschen, Nudossi zum Beispiel, oder Rotkäppchensekt, oder Spreewaldgurken. Viel lieber konzentriere ich mich auf die Art zu denken oder sich zu artikulieren, denn das scheint mir etwas, das zu bewahren viel wichtiger ist. So wie es gang und gäbe ist, Mama und Papa zu sagen, war es damals üblich, Mutti und Vati zu sagen. Höre ich das heute irgendwo, weiß ich sofort: Aha, Ossis. Gegenstände oder Lebensmittel kann man sich inzwischen in hunderten Museen ansehen.

 

Bruch Frank Goldammer
»Bruch« ist der erste Fall für Ermittler Felix Bruch und seine Kollegin Nicole Schauer.

Der Westen dagegen kommt mit Coca Cola, der Praline (Tittenhefte), BMW und VW Golf daher. Plötzlich gibt es Name dropping … Ist das für die Geschichten relevant?

Nur um zu zeigen, wie Dinge, die heutzutage ganz normal sind, für uns Ossis damals noch ganz neu waren, ganz und gar nicht selbstverständlich. Eine leere Coca-Cola Dose war zu DDR-Zeiten viel mehr als nur Müll oder ein Souvenir, vielmehr ein kleines Heiligtum, eine BRAVO war ein kleiner Schatz, ging durch viele Hände, die Poster daraus waren Handelsgut. Nach einem Westauto drehte man sich um. Eine Zeit lang sammelten wir leere Zigarettenschachteln. Ich kenne Leute, die ein ganzes Jahr benötigten, den Inhalt einer Schachtel Tictacs aufzubrauchen, einfach weil die Wahrscheinlichkeit, noch einmal eine zu bekommen, sehr gering war

Mit der Wende kamen nicht nur »Bananen, Schießburger und Tittenhefte« in die »Zone«, sondern auch Drogen, Prostitution, das unverhüllte Verbrechen. Wieviel hast du selbst davon miterlebt?

Hauptsächlich über die Medien, Banküberfälle, Mord am Geldautomaten, organisierter Autodiebstahl, fremdenfeindliche Übergriffe, aber natürlich habe ich die Prostituierten gesehen. Ich hatte im Bekanntenkreis einen jungen Mann, der seine kriminellen Machenschaften und den Versuch, die vietnamesische Zigarettenmafia zu betrügen, mit dem Leben bezahlt hat. Ich habe Neonazis marschieren sehen und regelrechte Barrikadenkämpfe zwischen ihnen und Autonomen in der Dresdner Neustadt erlebt.

Mit Felix Bruch kehrst du zwar ins Hier und Heute Dresdens zurück, aber auch für diesen gebrochenen Ermittler (nomen est omen) ist die Vergangenheit noch lange nicht abgeschlossen. Ist dir die Gegenwart zu langweilig?

Die Gegenwart ist ja allgegenwärtig, davon kann sich jeder ein Bild machen. Mich fasziniert, wie Vergangenheit und Geschichte unser Leben beeinflussen, im Kleinen wie im Großen, Speziell und Allgemein. Wie sind unseren Grenzen entstanden, unsere Lebensgewohnheiten? Welchen Hintergrund haben Sprichwörter? Wo kommen wir her? Was hat mich geprägt, warum blieben manche Begebenheiten in meinem Gedächtnis hängen, andere nicht und so viele mehr?

Welches deiner Bücher empfiehlst du Leser:innen, die zum ersten Mal einen Goldammer lesen möchten?

Da sage ich ganz klipp und klar: Der Angstmann.

Ihr seid neugierig geworden und möchtet ein Buch von Frank Goldammer lesen? 

 

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