„Noch wach?“ ist in vielerlei Hinsicht ein diskutierbares Stück Literatur. Ein Mann schreibt in der Ich-Perspektive über eine Frau, die von ihrem Chef se6uell missbraucht wird. Während schon so einige Frauen (siehe etwa Mareike Fallwickl) mit einem „#meetoo-Roman“ (in ganz großen Anführungszeichen!) krachend gescheitert sind, schreibt ein einziger Mann über dieses Thema, bekommt in jeder großen Zeitung Leitartikel und natürlich ein exklusives Interview im SPIEGEL. Und selbstverständlich auch eine zweimonatige Lesetour, das garantierte Bestseller-Fähnchen und die Schulterklopfer anderer Männer, die das alles ganz genau so sehen
Kann man von halten, was man will, kann man auch zurecht ganz schön kacke finden. Was ich trotzdem mag: Der Roman und die komplette Kampagne (es sag nochmal einer, dass das Zufall ist!) mit einem Böhmermann-Investigativ-Podcast zu Springer, einem ZEIT-Artikel über Döpfner und die Geheimniskrämerei zur Veröffentlichung zeigen, dass es nicht nur Schwachmaten (gendern ist hier unnötig, außer beim ZEIT-Artikel, den hat auch Cathrin Gilbert geschrieben) in der Medienwelt gibt. Feministische Männer, die sich für Frauen und Gleichberechtigung stark machen, find ich toll. Auch, wenn das politische Machtsystem dahinter immer noch ziemlich bekloppt ist, aber dafür können auch allein die Männer nichts. Dann doch lieber Aktivismus, statt Stillschweigen und mal nen gut geschriebenen Roman ballern. Natürlich wird dann auch ständig beteuert, dass das alles reine Fiktion ist. Mag sein, aber sie trifft die Realität ziemlich gut und der AUFFÄLLIGE OPTISCHE STIL zeigt deutlich genug (finde ich), woher der Wind weht und um wen’s im Subtext geht. Stuckrad-Barre ist natürlich Literat, muss natürlich auch ein bisschen gehoben schreiben, konnte mich aber trotz allem vor allem mit dem Stil überzeugen und abholen. Das ist alles ganz schön gut formuliert und schön subtil, deshalb umso treffender und ziemlich heftig. Man muss es sicher mögen, denn auch, wenn manchmal scheinbar gar nicht viel passiert und vieles vorhersehbar ist, ist genau das die Haltung und das System, um das es geht.
Und auch der Tenor des Buches, damit man am Ende da sitzen kann und sagt: Also das würde mir nie passieren. Ja, möglich. Könnte mir vorstellen, dass diese Art von Roman nicht jedem gefällt. Bin gespannt auf die Medienschlacht in den nächsten Wochen und freue mich, wenn demnächst ein ähnlich gut geschriebener Roman von einer Frau veröffentlicht wird.