»Schreiben heißt, sich der Nacht zu verschreiben, die wir alle in uns tragen.«
2020 wird der Vater von Caroline Darian, Tochter von Gisèle Pelicot, verhaftet. Er hat drei Frauen im Supermarkt unter den Rock gefilmt. Nur zufällig finden die Beamten auf seinem Handy weitere Bilder. Über 20.000 Stück. Von seiner leblosen Ehefrau Gisèle Pelicot, die er mehr als zehn Jahre lang regelmäßig medikamentös betäubt und mindestens siebzig anderen Männern zum Missbrauch vorgeführt hat. »Chemische Unterwerfung«, so nennt es die Justiz in Frankreich später.
»Und ich werde dich nie wieder Papa nennen« ist die Antwort der Tochter auf die Taten ihres Erzeugers. Tagebuchähnlich schreibt Caroline Darian darin über Zusammenbrüche, Aufenthalte in Psychiatrien, zerstörte Bindungen und gynäkologische Untersuchungen. Bei ihrer Mutter – und bei sich selbst. Denn auch sie und andere Frauen aus der Familie wurden vom Täter mutmaßlich sexuell missbraucht. Einen Beweis wird Darian dafür nie bekommen, ihr Erzeuger streitet die Taten ab.
Statt um detaillierte Sensation geht es im Buch um zerrüttete Familienverhältnisse, Scham und Schuld und Darians persönlichen Umgang mit dieser entsetzlichen Gewissheit. Immer wieder wendet sie sich direkt an ihren Vater, teilt Erinnerungen mit ihm oder seinem Enkel, ihrem Sohn Tom. Später schreibt sie auch über den so unterschiedlichen Umgang mit
diesem Trauma. Während sie laut, wütend und entschlossen ist, trägt und verdrängt ihre Mutter diese Erfahrung mit Ruhe und Würde. Sie lässt kein böses Wort an ihrem Mann aus. Ein schwieriger Konflikt für die Kinder.
Ich glaube nicht, dass ich die einzige bin, die den Prozess Pelicot Ende letzten Jahres mit Entsetzen und gleichzeitiger Bewunderung verfolgt hat. Bewunderung für diese Frauen, die sich selbst nicht als Opfer sehen, damit die Schande sich endlich gegen die Täter richtet. All diese Gedanken der Tochter so ungefiltert zu lesen, war schwer. Oft mehr als das, es tat richtig weh. Macht es bitte nur, wenn ihr euch damit sicher fühlt.
Und ich werde dich nie wieder Papa nennen [Caroline Darian]
