Musicaldarstellerin Nele Neugebauer: »Ich war nur noch effizient und habe gearbeitet.«

Interview Nele Neugebauer

Ignorierte Whatsapps, Kaffee mit O-Saft und mentale Gesundheit

»Sorry«, sagt Nele vor unserem Interview. »Ich muss hier ab und zu mal mein Handy checken, falls sich doch noch jemand meldet. Und ich muss mein Tablet laden, sonst kann ich heute Abend die Aufstellungen und den Text nirgendwo nachschauen …« 

Es war nicht leicht, dass Nele und ich uns »mal eben« auf einen Kaffee treffen.
Irgendwo zwischen Premieren, Musicalpreisen und spontanen Treffen im Zug haben wir uns immer mal kurz gesehen und gequatscht, aber das reicht ja nicht. Seit unserem ersten Interview im April 2022 ist einfach zu viel passiert. Wir treffen uns also als sie gerade mal wieder zuhause in Berlin ist. Irgendwo in einem kleinen Café in Neukölln sitzen wir auf dem Sofa in der Ecke, trinken Kaffee und O-Saft und quatschen, während das Tablet mit der Choreo lädt und Nele ihre WhatsApps gekonnt ignoriert.

Zum Zeitpunkt unseres Treffens ist sie Resident Director [künstlerische Leitung], Dance Captain und achtfache Swing [Cover für acht Positionen] bei der Tournee von »Sisteract«. Ja, ich war auch überrascht, dass das alles eine Person machen kann. Wir haben deshalb  natürlich über die Show, hundertzwanzig Jahre alte Nonnen und spontane Einspringer gesprochen, aber auch über die letzten Jahre, Stimmprobleme und Überbelastung im Job. Und darüber, wie wichtig der Bundeswettbewerb Gesang für Neles Psyche und ihre mentale Gesundheit war. 

»Ich bin sehr spontan auf einen Track gesprungen - die Nonne war gefühlt hundertzwanzig«

Nele, was liest du gerade?
Lustig. Ich lese gerade nochmal alles von »Eragon«. Letztes Jahr kam der neue Teil raus und ich habe gerade so eine Wiederbelebungsphase von Fantasy. Ich habe da vieles vergessen aus den ersten Teilen und wollte das einfach nochmal erleben. Und wenn ich viel zu tun habe, dann liebe ich auch solche Comfort-Bücher, weil die nicht mehr so emotional mitnehmen, sondern man schon weiß, was passiert. 

An deinem freien Nachmittag über die Arbeit reden. Ist das eine gute Idee? 

Ist okay. Ich habe als Resident Director und Dance Captain halt eh den ganzen Tag was zu tun. Aufstehen. Sick-Time, wo sich alle krank melden, ist um zehn und so beginnt der Tag direkt mit der Arbeit. Ich mache dann die Besetzung und entscheide, ob noch was geprobt werden muss.  Der Job ist nicht schlimm, aber er dauert dann bis abends nach der Show und am nächsten Morgen geht es wieder los. Ich wusste das vorher und für einen zeitlich begrenzten Zeitraum ist das auch in Ordnung. Bei »Ku’damm 56« war ich ja Vanessas [Vanessa Riechmann] Assistentin und da habe ich das mitbekommen. Wenn sie mich gelassen hat, habe ich auch mal geholfen, wenn es chaotisch wurde (lacht). Heute bei »Sister Act« spielen wir aber so, wie es geplant ist. 

Sicher, dass du das laut aussprechen willst? 

Right now ist alles gut, um 13.12 Uhr. 

Wie kam es dazu, dass du Resident Director wurdest? 

Ich wurde gefragt. 

Ob du die gesamte Show alleine managen willst?

Außer Deloris, und die spiele ich for obvious reasons nicht, interessiert mich keine spezielle Rolle, deshalb habe ich mich von Anfang an als Swing beworben. Und dann haben sie mir angeboten, auch die Künstlerische Leitung und die Dance Captain zu machen. Der einzige Vorwurf, den ich mir mache ist, dass ich nicht genug darüber nachgedacht habe, was das arbeitstechnisch bedeutet, vor allem die Kombi mit der Dance Captain. Das würde ich nicht nochmal so machen. 

War das eine ökonomische Entscheidung? 

Ich gehe fest davon aus, ja. Wir können uns auch gerne kurz darüber unterhalten, dass ich es nicht so gut finde, dass ein Resident Director auch Teil der Cast ist. Ich bekomme viel zu viel mit und sollte eigentlich nur im Büro sitzen. Das geht natürlich überhaupt nicht gegen die Cast, die können ja nichts dafür, aber für die ist es ja auch überhaupt nicht entspannt. Ich entscheide im Zweifel auch viele unangenehme Dinge und das schafft dann keine gute Stimmung.  Die Leute vergessen dann, dass ich eben auch weisungsgebunden bin und nicht immer aus Sympathie entscheiden kann. Das wäre mental einfacher, wenn ich nicht auch in der Cast wäre. Ich bin froh, dass alle sehr erwachsen mit Entscheidungen umgehen und es trotzdem sehr gut läuft. 

© Stella Fritz

Nele Neugebauer 

wurde in Leipzig geboren und studierte von 2012 bis 2015 Musical an der Performing Academy in Wien. Anschließend zog es sie für ihr Masterstudium, welches sie 2021 abschloss, an die Royal Academy of Music nach London. Nele spielte unter anderem THE ADDAMS FAMILY (Deutschland und Österreich, 2017), GRIMM (Erfurt, 2019) und URINETOWN (London, 2021). Anschließend stand sie im Ensemble und als Cover Monika im Musical KU’DAMM 56 sowie als Lisi Schnabelstedt in FACK JU GÖTHE auf der Bühne. 2023 gab sie in EMIL UND DIE DETEKTIVE im Staatstheater Kassel ihr Debüt als Choroegrafin. Während des Interviews spielte sie in der Tourversion von SISTERACT. Aktuell probt sie für »Rent« bei den Vereinigten Bühnen Bozen. 

»Wenn man eine Nonne hatte, hatte man quasi alle.«

Wie kann ich mir die Proben vorstellen? Warst du dann einfach alles auf einmal?

In den Proben hatten wir eine Regieassistentin. Ich konnte halt einfach nicht in zwei unterschiedlichen Räumen sein. Während der Proben habe ich dann nicht gespielt, sondern nur beobachtet. Ich war also vorher schon eher Resident und Dance Captain. Und dann war ich einfach dankbar, dass ich so schnell Text lerne, das musste ich ja auch noch für acht Rollen. Ich bin sehr spontan auf meine erste Position gesprungen. Und dann auch noch der Track, auf den ich mich am wenigsten konzentrieren sollte, weil es die Nonne ist, die gefühlt hundertzwanzig Jahre alt ist. 

Du?

Jaja (lacht). Die sollte ich mir eben als letztes angucken, weil ich das eh nie spielen sollte. Aber nach vier Tagen in München ist dann in der ersten Doppelshow etwas passiert und ich musste in die Abendshow reinspringen. Nach zwei Stunden Vorbereitung. Ich verstehe, dass das meine Position ist, aber trotzdem habe ich natürlich eine Priorität gehabt. Das war kurzzeitig sehr stressig. Heute wäre das anders, jetzt könnte ich alles spielen, weil ich ja ständig Showwatches habe. Sister Act ist für Swings anfangs aber gemein, weil es so viele Lieder gibt, wo jede Nonne einen Solosatz irgendwo im Lied singt. Speziell zwei Nummern sind da wirklich ein Albtraum, weil ich jedes Mal checken muss, welche drei Wörter ich heute sage. 

Ich habe die Rolle dann einige Male in Folge gespielt, bis das andere Cover übernommen hat. Wenn man aber erstmal eine Nonne hatte, hatte man quasi alle. 

Ich lasse diesen Satz unkommentiert, ja? (lacht)

Ja. Danke. 

Ich habe mich vorher auch mit anderen Sister Act-Swings unterhalten, die mir bestätigt haben, dass das echt tricky ist. Vor allem auch die Ensemble-Nonnen. Die Haupt-Nonnen haben halt alle eine Farbe. 

Klischée?

Jein. Eine Charaktereigenschaft, die sehr ausgeprägt ist. Mary Robert ist anfangs zum Beispiel sehr schüchtern und entwickelt sich dann zu ihrer eigenen Stärke und Stimme. Eine Mary Patrick dagegen ist immer gut drauf, immer optimistisch. Wenn man es sehr vereinfacht herunterbrechen will, hat man diese unterschiedlichen Farben, die alle zusammenwirken. 

© Deutsche Musicalakademie

»Der Zusammenhalt unter den Frauen ist komplett unironisch. Das ist extrem schön!«

Und das sind alles Frauen auf der Bühne. 

Ja. Natürlich haben wir auch einige Männer, der Love-Interest von Deloris oder auch die Bösewichte. Im zweiten Akt haben die eine Nummer, die zum Schießen lustig ist. Aber im Fokus stehen die Frauen und ihre Power untereinander. Und das ist wirklich nett. Vor allem sind die Frauen auch in allen Altersgruppen, unsere älteste Nonne ist einudsechzig Jahre alt. Und dieser Zusammenhalt unter den Frauen ist auch komplett unironisch, das ist als Grundaussage extrem schön. 

Das Stück ist aber schon etwas underrated, oder?

Ja, voll. Es gab eine Zeit, da wurde es oft gespielt. Wir haben aber jetzt auch einiges im Text angepasst, weil es nicht mehr zeitgemäß ist. Das machen nicht alle Inszenierungen, aber uns war das eben extrem wichtig als Team. Wir haben uns ja auch schon über die UK-Produzent:innen unterhalten, die da generell eeeeeetwas fortschrittlicher unterwegs sind und da unser Team eben das originale Team aus London war, haben wir sehr viel Zeit verwendet, um die Texte anzupassen und auch zu überlegen, wie man das auf Deutsch gut sagen kann. Gewisse Momente im Stück habe ich übersetzt und neu geschaffen, da bin ich auch stolz drauf. 

Gib uns Beispiele. 

Das ist jetzt sehr Insider. Aber den Cheerleading-Moment von Eddi habe ich zum Beispiel übersetzt. Das verstehst du, wenn du es siehst. Und gewisse Witze, die auf Deutsch anders funktionieren als im Original. Auch der Sprachduktus und die Pointen, die bei uns manchmal einfach woanders landen, waren nicht immer so leicht zu übersetzen. 

Wir haben alles rausgenommen, was einfach nicht lustig, sondern gemein ist. Ich weiß, dass manche dieser Hardcore-Fans sich aufregen, weil es auch eine große Änderung gibt. Der männliche Love-Interest von Dolores hat von ihr damals einen Spitznamen bekommen und das ganze Lied heißt auch so. Der Spitzname war früher »Schwitze-Fritze« und wir haben überlegt, ob man sich darüber lustig machen kann. Ich denke nicht. Und deshalb heißt er jetzt »Teddy-Eddi«, das finde ich wirklich süß. Und heute sagen wir auch nicht mehr »afrikanische« Nonne, weil das auch nicht lustig oder irgendwas ist. Ich fand es sehr wholesome, dass das alles so geändert wurde. 

Das ist ja auch der Sinn und deine Aufgabe, oder? 

Das Totschlagargument ist immer: Das spielt in den 70ern. Fair enough, aber es ist kein historisches Stück und manches muss ich auch einfach nicht mehr sehen und hören. Ich freue mich auch immer, wenn wir echte Nonnen im Stück haben. Die lachen meistens am lautesten. Es macht sich ja niemand über Nonnen lustig, das ist nicht das, was wir zeigen wollen, aber die Klischee-Dinge, die sind schon sehr lustig dargestellt. Und die richtigen Nonnen schmeißen sich dann im Publikum komplett weg, das liebe ich sehr. 

© Hendrik Nyx

»Ich bin inzwischen weniger willens, meine Vorstellungen zu opfern, weil ich mich an Leistungsniveaus anpasse.«

Du hast vor »Sister Act« viel Choreo gemacht in letzter Zeit, oder? 

Ja, die letzten drei Jahre gab es da viel. Ich habe auch viel gespielt, aber diese Leitungsposition war schon echt cool. 

Wie kam es dazu? 

Ursprünglich kam das über eine Empfehlung. Die Regisseurin von »Emil und die Detektive« hat mich gefragt, und dann hatten wir beide unser Debüt. Und daraus haben sich dann sehr viele Anfragen für Choreografie ergeben. Die Leute saßen in der Show und haben mich gefragt. Ich habe aber auch ein sehr tolles Netzwerk. Und eine Kollegin empfiehlt mich ständig, wofür ich extrem dankbar bin. 

Nächstes Jahr kommt dann »School of Rock«, oder? 

Ja. Da choreografiere ich und spiele die weibliche Hauptrolle. Sie tanzt aber leider nicht. Und ironischerweise habe ich auch wieder eine Rolle, die sehr gefangen ist in ihrem Körper (lacht). Das zieht sich durch, genau wie die Lehrerinnen. 

Stimmt. Ist das ein Typecast, den du anstrebst? (lacht)

Nein. Es hat sich immer ergeben. In »Fack Ju Göhte« war ich die Referendarin Lisi und die Direktorin Gerster, in Bad Hersfeld war ich auch Lehrerin, jetzt in School of Rock. Ich will das auch mal brechen. Ich bin ja auch ein bisschen esoterisch und ich habe das Gefühl, dass es auch kommt, weil ich aktuell immer wieder in führenden Positionen bin. Und dann kommt aber doch zum Glück wieder so eine Maureen aus »Rent« und ich bin so: Ja, bitte, danke. Die Rolle ist dann mal wieder alles andere als verklemmt. 

 

© Hendrik Nyx

In »School of Rock« und vorher in »Emil und die Detektive« arbeitest du auch viel mit Kindern. Wie ist das?

Toll! Ich habe früher ganz viel Tanzunterricht für Kinder gegeben, als ich noch nicht durchgängig gearbeitet habe. Und ich versuche sie als Kolleg:innen zu behandeln und professionell mit ihnen umzugehen. Und ich komme dadurch mit ihnen total gut klar und habe wirklich null Probleme, ich arbeite einfach auf Augenhöhe. Ich freue mich da einfach immer drauf, weil ich glaube, dass ich eigentlich ganz gut mit Jugendlichen klar komme, weil wir energetisch sehr auf einer Stufe sind. 

Die Betonung, dieser Satz, Nele. Das war gerade so Lisi. 

Hahaha, true (lacht). Ich habe auch oft das Gefühl, dass sie mich cool finden und wir einfach Respekt voreinander haben … Es wird nicht besser, oder? 

However (lacht). Ich behandle niemanden anders, weil er oder sie jünger ist. Ich kriege die Kinder halt auch immer erst nach der Schule und da merke ich, dass sie echt durch sind, wenn es dann kein Wochenende ist. Da ist die Konzentration dann raus. Meine Trainings dauern etwa anderthalb Stunden und wenn ich dann die ganzen Nummern aufbaue, ist das sehr anstrengend. Ich habe dieses Mal auch bewusst alles schwerer gemacht als beim letzten Mal. 

Wieso? 

Ich merke, dass ich jetzt inzwischen weniger willens bin, meine Vorstellungen zu opfern, weil ich mich an Leistungsniveaus anpasse. Ich fahre den Ansatz: Ich gebe euch das jetzt und wir haben viel Zeit, um das zu üben. Sollte es dann trotzdem nicht klappen, kann ich es immer noch ändern. Deshalb bringe ich ihnen jetzt auch crazy Sachen wie Schulterrollen bei. Als erwachsene:r Darsteller:in kann ich leichter sagen, dass ich etwas kann oder lernen kann, weil ich meine Leistungen einschätzen kann. Aber inzwischen kämpfe ich auch dafür, dass die Kinder mal ein bisschen Zeit haben, um etwas zu üben und zu lernen. Ich bin kein Fan davon, immer den einfachsten Weg zu gehen, um es mir leicht zu machen. 

Und die Kinder machen das nicht hauptberuflich.

Eben. Ich kann mich ins Studio stellen und dort den ganzen Tag üben. Aber bestimmte Dinge wie Ausdauer für eine bestimmte Show oder Nummer kann ich auch nicht proben. Das musste ich letztens auch feststellen. Da habe ich länger nicht gespielt und plötzlich habe ich geschwitzt – und ich schwitze nie (lacht).

Wann war das letzte Mal, dass du einen neuen Skill gelernt hast? 

Jetzt muss ich überlegen. Als erstes ist mir das Programm für den Bundeswettbewerb Gesang eingefallen. Man muss das Programm sofort abgeben und ist dann dafür verpflichtet und da wusste ich zu dem Zeitpunkt, dass ich das so gesanglich und körperlich noch nicht kann. Und bei einer Show finde ich, dass Sister Act gesanglich gerade wirklich herausfordernd ist. Wenn man liest, dass jemand Sister Act macht, kann man davon ausgehen, dass die Person gut singen kann. Egal, ob Nonne oder Gangster, es gibt so viele Close Harmonies und Gospel, das ist wirklich sehr schwer. Und auch die Art, wie es gesungen wird mit den extrem hohen Top-Harmonien, das hat mich stimmlich sehr weitergebracht. Und gerade als Swing singe ich ja vom Bass bis Sopran alles. 

Wait, ich muss mein Handy checken …Ich guck nochmal kurz, ob da noch irgendwas … nee! Weiter geht’s.

»Physiologisch war alles abgeklärt, also musste ich nach innen gucken.«

Bundeswettbewerb Gesang. Du hast dich da angemeldet, weil du mal Bock auf eine Challenge hattest.

(lacht) Ja, ich dachte, ich habe nicht genug zu tun.

Ich hatte sehr unterschiedliche Beweggründe, mich dort anzumelden. Zu einen ist es so, dass ich Phasen hatte, wo es mir stimmlich nicht gut ging. Es hat niemand mitbekommen, weil es niemand gehört hat, aber ich hatte aufgrund von seelischer Belastung durch starke Überarbeitung echt Probleme. 

Ich hatte das Gefühl, dass meine gesamte rechte Körperseite blockiert ist, das ging hinter der Schulter los und in den Hals rein. Es war die ganze Zeit das Gefühl, dass ich einen Kloß im Hals habe. Ich war in der Charité, in einem Zentrum in Hamburg und es haben alle gesagt, dass das perfekt aussieht. Aber ich kenne meinen Apparat wirklich gut und ich wusste, dass etwas nicht passt. Physiologisch war alles abgeklärt, also musste ich nach Innen gucken. Ich bin schon lange in Therapie und immer in Therapie und habe dann aber die Therapeutin gewechselt. Und zusätzlich bin ich zu einer ganzheitlichen Stimmtherapeutin gegangen. Das war die erste Person, die gesagt hat: Alles klar, kenne ich, hatte ich auch als ich überarbeitet war. Diese Erkenntnis hat wirklich lange gedauert, bestimmt ein halbes Jahr. Ich dachte währenddessen, ich kann nie wieder frei singen.

Hat sich das auf die Qualität der Shows ausgewirkt?

Jein. Niemand hat es bemerkt. Normalerweise verlieren Leute Höhe, mir haben meine drei untersten Töne gefehlt. Und da wusste ich, dass das einfach nicht passt, allein weil es niemand gesehen hat. Ich dachte kurz, ich bilde mir das nur ein. Aber die Arbeit mit der Therapeutin hat unendlich viel geholfen. 

Ich hatte auch immer schon mit depressiven Episoden zu tun in meinem Leben und versuche jetzt viel mehr zu beherzigen, dass ich mich nicht überarbeite und Pausen mache. Und vor allen Dingen hat es mich unglücklich gemacht, dass ich nicht genug Zeit habe, um mich auf eine Sache zu konzentrieren. Ich war nur noch effizient, habe alles abgearbeitet. Ich hatte dann auch keine Freude mehr.

Dir hat also die Essenz von deinem Job gefehlt.

Exakt, ja. Und nachdem ich diese Erkenntnis hatte, habe ich entschieden, bei dem Wettbewerb mitzumachen. Ich brauchte etwas, das mich kreativ fördert, wo ich selbst entscheide. Ich konnte sagen, was ich singe, was mir wichtig ist, was ich zum Ausdruck bringen möchte. Und ich konnte mich challengen. Außerdem war es das letzte Jahr, in dem ich mitmachen konnte, ich habe das im Studium oder so nie gemacht. Ich habe das wirklich nur für mich gemacht. Wobei – ein bisschen wollte ich auch beweisen, dass ich durchaus in der Lage bin, einfach nur Hauptrollen zu präsentieren. Mir passiert sehr oft, was vielen Swings und Covern passiert, die gut sind – ich bleibe in meinem Muster. Auf eine gewisse Art ist es nämlich viel einfacher eine Erstbesetzung zu finden. Ich will das nicht runterspielen, aber nicht jede:r kann acht oder neun Rollen performen und da immer wechseln.

© Nico Moser

Ich wollte mich aber einfach mal hinstellen, fünf Minuten ein Lied singen und zeigen, dass ich das absolut kann und es interessant ist. Das hat voll Spaß gemacht. Ich habe auch ganz viel übersetzt für mein Programm, weil ich viel gemacht habe, was es in Deutschland noch nicht gibt.

»Ich war nur noch effizient und habe gearbeitet.«

Aber ist das nicht irgendwie auch entgegen dem, was du in deiner Therapie erkannt hast?

Absolut, ja, das war während »Fack ju Göhte« und der »Ku’damm 56«-Tour, aber wenn mich etwas froh macht, dann ziehe ich daraus Energie. Das habe ich so stark bei diesem Wettbewerb gemerkt. Vor den Proben um zehn war ich eben schon um acht da, und bin danach auch länger geblieben. Ich habe in der Zeit so viel gelernt. Die Energie kam nur aus mir, es war nur Repertoire, was ich liebe, das war einfach schön. Ironischerweise war das erste Lied bei Wettbewerb auch gesanglich das schwerste und als das geklappt hat, ging der Rest auch. Aber das war genau so eine Nummer, die ich ausgesucht habe, weil ich das Lied liebe, nicht, weil ich es konnte.

Das ist aber auch das, was in der Kreativbranche oft untergeht, dass man sich erinnert, dass wir das alle mal als Hobby gemacht haben.

Genau. Und ich nehme mir jetzt viel bewusster Zeit am Tag, und wenn es zwanzig Minuten sind, aber die sind sehr unantastbar. In der Zeit mache ich etwas für mich, da kann auch keine Person ran. Nichtsdestotrotz muss ich irgendwann Pause machen.

Wann?

Ja, ähm … (lacht). Nächstes Jahr. Der Zeitraum, der bisher frei ist, ist ab nächstem September. So plane ich aktuell, aber mal sehen, was dann ist.

»Ich ignoriere meine Bedürfnisse nicht mehr.«

Und du forcierst jetzt Hauptrollen?

Ja. Ich habe ja gerade schon viele. Eine Swing-Position kann mich glücklich machen, aber im Ensemble bin ich unterfordert. Außer es ist eine krasse Tanzshow. Aber ansonsten weiß ich, dass mich das unglücklich macht. Nicht, weil die nichts können, im Gegenteil, aber ich persönlich sehe mich da nicht mehr. Gerade mit den Covern. Das ist inzwischen besser, aber du kriegst einfach nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie eine First Cast.

Und mir sind die Inhalte der Stücke, die ich spiele, inzwischen noch wichtiger. Ich habe inzwischen aber auch den Luxus, um das so auswählen zu können und zu überlegen, ob mich eine Position froh machen wird. Das kann auch ein Swing sein, aber dann muss ich wissen, dass es keine Rolle gibt, die ich viel lieber als Erstbesetzung spielen würde. Mir ist es bei »Sister Act« relativ egal – egal, in welcher Rolle ich bin, ich habe da immer Freude daran. Da bin ich mit mir selbst inzwischen sehr viel strenger und ignoriere das nicht mehr.

War »Ku’damm 56« ausschlaggebend für diese Entscheidung?

Ich wusste es vorher schon, aber danach hatte ich das Selbstbewusstsein, um es durchzusetzen. Als Monika konnte ich auch viel spielen und durfte damals sogar doe Tour in Frankfurt eröffnen. »Ku’damm 56« war aber auch noch ein bisschen was anders, weil es das erste Mal Ensuite war und deshalb eine andere Situation für mich. Ich will das alles auch nicht so auf eine Position schieben, aber ich denke, da kommen wir zurück zu der kreativen Herausforderung, die ich brauche. Alles andere macht mich unglücklich. Nächstes Jahr habe ich richtig viel Glück – angemessenes Glück (lacht). Da gibt es Produktionen, wo ich davon ausgehe, dass es mir Spaß macht. »Rent« in Bozen kommt zum Beispiel jetzt nach »Sister Act«.

Warum war »Ku’damm 59« für dich damals keine Option?

Doch, war es! Ich hatte auch ein Angebot für Monika und Ensemble und es war auch alles toll und echt besonders, dass ich da eine Rolle weiterführen darf. Aber ich habe mich für meine psychische Gesundheit entschieden. Ich habe das ganze Jahr davor gearbeitet, hatte keine Pausen, ich brauchte ein Fenster, um mal zu atmen. Und deshalb wurde es diese Show leider nicht. Ich wusste, dass ich dem nicht gerecht werden kann und es als so toll empfinden kann, wie es ist. Das war nicht leicht – aber jetzt, nachdem ich die Show gesehen habe, weiß ich auch nicht, ob das für mich darstellerisch so einfach geworden wäre.

Welche Shows würdest du denn gerne mal machen?

Ich würde wirklich gerne mal Sally Bowles [Cabaret] spielen. Das Stück wird zwar ständig gespielt, aber es sind eben auch immer die gleichen Sallys, weil die häuserübergreifend austauschen. Ansonsten hätte ich gerne, dass mir jemand eine Rolle schreibt (lacht). Ich würde gerne etwas in einer Uraufführung kreieren. Und Gott sei dank bin ich inzwischen auch finanziell in einer Situation, wo ich auch zwei Monate nichts machen kann, das empfinde ich als sehr großen Luxus.

Nele, ich fand es so schön, dass wir uns mal wieder ein bisschen updaten konnten.

Ja voll, machen wir das bald wieder?

Bitte! 

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