Staubsaugervertreter, stille Interviews und ein neuer Deal
5. Mai 2024:
»Toi, toi, toi zur Premiere heute!«
»Muss eigentlich ein neues Interview her, oder? Tausche gegen Freddy Premierentickets.«
»Dein Ernst?«
»Klar.«
»Hatte kurz vergessen, dass du deine Interviews immer selbst vereinbarst.«
»Warum soll ich auf dich warten? Ich frag einfach.«
Wenn ihr euch fragt, wie ich meine Interviews plane? Im Fall von Silvio Römer macht er das meistens. Ich war also am 22. Mai bewaffnet mit Schokolade bei seiner offiziellen Premiere als Cover von Gittarenhallodri Freddy Donath im Musical »Ku’Damm 59«, obwohl er davor schon kurzfristig einige Shows gespielt hat. Never change a winning team. Schuster bleib bei deinen Leisten. Oder wie Silvio sagen würde: Viele Bäcker verderben den Teig. Insider.
Er hat dann zum Interview wenig später unsere Tradition gebrochen und mir keine Schokolade mitgebracht. Dafür einen Strauß Blumen. Keine Angst, er ist weder langweiliger Staubsaugervertreter geworden, noch waren es rosa Nelken. Was das mit »Ku’Damm 59« und einem gekürzten Monolog von Freddy zu tun hat, wieso Silvio bei der »Hamilton«-Audition weinte und weshalb auch der von sich überzeugteste Darsteller an seiner Performance zweifelt?
Das und mehr in meinem inzwischen dritten Interview mit Musicaldarsteller Silvio Römer.
»Musik ist ein ganz wichtiger Teil meiner Arbeit, meines Lebens und Liebens.«
Silvio. Ist dir bewusst, wie schwierig es ist, sich nach zwei sehr ausführlichen Interviews noch neue Fragen für dich auszudenken?
Darüber habe ich vorhin auch schon nachgedacht und überlegt, was du mich noch nicht gefragt hast.
Es hilft nichts, wir müssen jetzt über Insiderthemen reden. Welche ist deine Lieblingsfarbe?
… Klar, Sarah.
Silvio Römer
wurde 1988 in Oschatz geboren, absolvierte zunächst eine Ausbildung als Hotelfachmann und war in der Hotelanimation tätig, bevor er 2012 seine Ausbildung zum Musicaldarsteller an der Stage School Hamburg begann und 2015 abschloss. Seitdem spielte er unter anderem in HAIR (2017), ICH WAR NOCH NIEMALS IN NEW YORK (2020), KU’DAMM 56 (2022) oder FACK JU GÖHTE (2023/2024). Aktuell steht er er im Ensemble und als Cover Freddy in KU’DAMM 59 auf der Bühne.
© Melina Samel, Merle Wegener
Lass uns einen Bogen schlagen zum allerersten Interview. Das war Mitte 2022. Wie hat sich dein Freddy, die Rolle des freiheitsliebenden Gitarrenhallodri, auf der Bühne von »Ku’Damm« seitdem verändert?
Da hat sich viel getan. Die Proben sind viel intensiver, da ist viel mehr emotionale Substanz. Du hast die Show ja gesehen …
… gut möglich.
Paar Mal halt (lacht). Und Freddy hat jetzt endlich das bekommen, was ich mir in »Ku’Damm 56« schon gewünscht hätte: ein bisschen mehr Tiefgang, er erzählt mehr. Man kann sich etwas mehr in die Figur Freddy als Außenstehende:r einfühlen und verstehen, was ihm geschehen ist. Aber auch als Darsteller in den Proben ist alles viel größer, viel emotionaler und viel konkreter. Ich darf außerdem dynamischer sein und das auch zeigen. Jetzt hat Freddy mit »Drei Minuten Held« einen Song, wo die Bühne ihm gehört.
Den Song lebst du ein bisschen, oder? (lacht)
Das … kann gut sein. Okay, du hast recht, ein bisschen sehr. (lacht) Die Gitarre hat Freddy geheilt und das ist eine tolle Symbiose zu mir selbst. Musik ist ein ganz wichtiger Teil meiner Arbeit, meines Lebens und Liebens. Das zeige ich für meine Rolle und für mich. Natürlich ist das Interpretationssache, andere Kollegen spielen das anders. Aber ich habe es vor allem genommen, um die Fallhöhe später noch größer darzustellen. Es ist nicht, dass ich extrem übertreibe, aber ich fühle das schon sehr.
Du hast gesagt, Freddy ist emotionaler geworden. Hast du darauf im Vorfeld gehofft?
Ich habe schon im Vorgängerstück darauf gehofft und wurde dann quasi »enttäuscht«. Das ist jetzt natürlich ein großes Wort, aber es waren vollendete Tatsachen. Da hat für mich immer ein bisschen was gefehlt und jetzt habe ich das endlich bekommen. Ich glaube, man kriegt uns als Darstellende nie zu einhundert Prozent zufrieden, weil wir immer denken: »Das könnte man noch erzählen und das!« Aber ich hatte das Glück, von Anfang an dabei gewesen zu sein und weiß auch, wie das Textbuch vor der Premiere aussah.
Drittes Interview, Silvio. Wir können das so nicht stehen lassen. Wie sah es aus?
Ich sag mal so: Der kleine Monolog am Grab zu Beginn des zweiten Aktes, bei dem Freddy von seiner Vergangenheit in Auschwitz erzählt, war ursprünglich noch einige Zeilen länger. Da waren knallharte Informationen dabei, die das Publikum noch mehr getroffen und das Bewusstsein für das, was in Deutschland passiert ist, noch mehr wachgerüttelt hätte. Ich habe mir sehr gewünscht, dass das drin bleibt.
Zum Beispiel hat er den Moment beschrieben, als er an den Zügen von seinem kleinen Bruder getrennt wurde. Dass zwei SS-Agenten seinen Bruder mitgenommen haben und sie ihm gesagt haben, dass er bald wieder bei ihm ist. Das war der letzte Moment, als er seinen Bruder gesehen hat. Dann wurde davon berichtet, mit wie vielen hunderten Menschen sie ohne Essen eingepfercht waren. Es ging viel mehr um die Dramatik und die Ankunft in Auschwitz. Ich finde aber generell, dass das sehr besonders geworden ist und auch viele Interviews von KZ-Überlebenden repräsentiert.
Aber gerade der Kontrast zu den Heimatliedern ist dann heavy, oder?
Überrascht mich nicht, dass du das erkannt hast (lacht). Wir haben in den Proben viel von »Brücken« gesprochen. Und eine, die viele nicht erkennen ist die zwischen dem brennenden Führerschein von Eva, dem Käfig von Kaninchen Ralphi und dem Salatblatt, das Freddy ihm gibt. Das ist eine bewusste Inszenierung von Christoph [Christoph Drewitz, Regisseur] gewesen.
Kommt jetzt wieder die Liebeserklärung an Christoph?
Nein! Diesmal nicht (lacht). Die haben wir schon zweimal. Gelübde zur Ehe macht man doch auch nicht jedes Jahr neu.
»Eigentlich bin ich nur in der Show, weil ich Freddy unbedingt nochmal machen wollte.«
Wie war denn die Reaktion nach der Premiere?
Generell gab es unglaublich viel Feedback. Ich habe natürlich verschiedene Blickwinkel. Nehmen wir mal meinen persönlichen, da gab es sehr viel positives Feedback. Klar, deine Freunde sind immer begeistert
Du fällst auf. Punkt.
Genau das war der Wortlaut, ja. Es ist wichtig für Leute im Ensemble, dass sie auch gesehen werden. Ich habe das Gefühl, dass das bei vielen Produktionen vernachlässigt wird. Aber diesmal haben wir sehr viel zu tun. Das heißt, du hast es geschafft, eine Show mit sehr vielen Ensemblemitgliedern so zu kreieren, dass jede:r auffällt.
Du hast damals im ersten Interview gesagt, dass du gerne mehr spielen würdest. Im zweiten Gespräch ging es dann um deine erste Erstbesetzung als Zeki Müller in »Fack ju Göhte«. Und jetzt bist du irgendwie wieder »back to the roots«. Hast du trotzdem das Gefühl, es hat sich etwas verändert?
Man kann das nie so pauschal sagen. Du kannst nicht immer davon ausgehen, dass du eine Rolle bekommst, das wäre utopisch. Es gibt Leute, die diesen Luxus haben. Ich bin noch nicht da und das ist auch okay. Ich versuche, diese Position mehr anzustreben und einfach nicht mehr alles zu machen. Dafür werde ich langsam auch zu alt, wenn ich das so sagen darf. Ich will es auch gar nicht mehr machen, da bin ich ehrlich mit dir.
Solange du zum vierten Interview nicht mit einem Rollator ankommst …
Jaja, klar.
Bei »Ku’Damm 59« ist es so, dass Christoph wusste, dass ich diese Ambitionen habe und deshalb habe ich auch mehr Fokus bekommen. Trotzdem muss ich noch Ensemblearbeit leisten und das ist auch okay so, weil es ein gesundes Mittelmaß ist. Und eigentlich bin ich nur in der Show, weil ich Freddy unbedingt nochmal machen wollte, vor allem seine Fortsetzung. Das war mein Totschlagargument. Diese Option kriegst du einfach nie.
Wie schaffst du es, dich während des Longruns kreativ zu halten? Geht dir die Heimatfilmmusik irgendwann auf den Geist?
Es ist eine Challenge. Aber die Musik geht mir überhaupt nicht auf die Nerven. Romantisch gesagt liebe ich es, jeden Abend auf der Bühne zu stehen. und ich durfte in den letzten Wochen auch schon richtig viel Freddy spielen.
Und zwar direkt ab der zweiten Woche, weil die Erstbesetzung krank wurde. Gab es da überhaupt eine Probe?
Wir haben angefangen. Ganz spontan war es nicht und ich hatte das meiste schon gemacht. Aber meine Premiere wurde über eine Woche vorgezogen.
Hast du dich in der Rolle von Anfang an wieder wohlgefühlt?
In der Rolle schon, im Technischen nicht so ganz. Du bist die Bühne zwar gewohnt, aber aus einer anderen Perspektive. Ich musste erstmal schauen, wo Freddy hinmuss und was er macht. Theoretisch kenne ich alle Songs, alle Texte und weiß, was ich rein- und raustragen muss, aber das reicht ja nicht. Ich hatte kein Put-In [Generalprobe für Zweitbesetzungen]. Aber ich scheiß mir da nichts, dafür bin ich bekannt. Ich gehe auch mit wenigen bis gar keinen Proben auf die Bühne und bin Rampensau. Ich habe einfach meine Stringenz durchgezogen und alles, was gravierend falsch war, wurde danach ausgemerzt. Erstmal ging es um eine gute Show.
»Schnaubt!«
Und du bist auch für deine Freiheiten auf der Bühne bekannt. Wo nimmst du dir die in dieser Show?
Es ist schon so, dass der Raum für Freiheiten da ist, aber es macht schon alles Sinn, wie es inszeniert und geschrieben ist. Das heißt, der Freiraum, den ich mir nehmen würde, wäre nicht sinnvoll. Ich spiele trotzdem Sachen anders als Matthi [Matthias Reiser, Erstbesetzung Freddy], aber trotzdem bleiben der Inhalt und das Erzählte gleich.
Habt ihr euch darüber mal ausgetauscht, dass ihr so unterschiedlich seid?
Spät. Sehr spät. Vor einer Woche hat er meinen Freddy im Showwatch gesehen. Es ist immer aufregend, wenn die Erstbesetzung dir zusieht. Du weißt ganz genau, dass die Blicke von deinem Kollegen auf dir liegen. Der will sehen, was ich mache und bewertet das natürlich auch. Wir haben uns danach ausgetauscht und es war ein super Gespräch. Wir sind uns natürlich auch einig, dass er viele Sachen einfach anders macht als ich, weil es gar nicht in seiner Natur liegt. Aber viel spannender fand ich, dass er viele Dinge gesehen hat, die er dann auch mal probiert hat. Es ist schön, dass er durch mich dann auch neue Impulse bekommen hat. Und mir geht es ja auch so. Das gesamte Grundgerüst hatte ich von ihm, gerade weil ich anfangs keine Substanz hatte.
Themawechsel. Weil ich es selbst so spannend finde und weil es mich seit der Premiere beschäftigt. Es hat nichts mit deiner Rolle zu tun, aber im Original gab es die Rolle des Regisseurs Kurt Moser. Im Musical wurde dieser zu Christa Moser. Wie stehst du dazu?
Silvio putzt sich die Nase.
Schreib das ins Interview rein. Schnaubt!
Äh … okay.
(schnaubt)
Ich habe zwei Blickwinkel dazu. Die Entscheidung finde ich spannend, die Rolle einer Frau zu geben – und dann noch so einer tollen. Liebeserklärung an Steffi Irmen [Erstbesetzung Christa Moser]. Wir haben zusammen studiert und uns damals schon sehr gemocht. Ich finde sie großartig. Und ich finde den Schritt mutig, weil was erzählt wird.
Gleichzeitig schießen wir am Thema vorbei. Ursprünglich ging es um die Machtposition eines Mannes, der diese ausnutzte. Ja, wir haben Fassbender, der seine Frau Eva unterdrückt. Aber das Standing eines Regisseurs zu der Zeit, der so mit seiner Macht spielt, das war eine spannende Geschichte. Und das ist auch aktueller denn je. Es bricht das komplette System unserer Show, weil es immer heißt, was Frauen alles nicht dürfen – arbeiten, studieren, einen Führerschein machen. Und plötzlich ist da Christa Moser, die all das hat und dann noch was mit Catherina. Ich mag die queere Geschichte zweier Frauen, weil viele Bühnen sich das mit zwei Männern sehr einfach machen. Aber die ganz große Überschrift des Feminismus, die ist weg. Und das finde ich schade. Das hat nichts mit den Kolleginnen zu tun, aber »Ku’Damm« erzählt so viel parallel, da ist es schade, dass diese Komponente fehlt.
Danke für diesen tollen Blickwinkel!
»Natürlich strahle ich diese Showmaker-Larifari-Hinrotz-Energie aus. Aber nichtsdestotrotz ist da immer auch so viel von mir in jeder Figur.«
Lass uns nochmal zu dir kommen. Du scheißt dir keinen, bist cool und lässig. Deine Rolle ist entspannt, es läuft alles, bisschen Macho-Type. So kennt man dich . Aber gibt es auch Momente, wo du das reflektierst und denkst: Fuck, das lief mal so gar nicht. Und wie gehst du damit um, wenn du das an dir beobachtest?
Uff. Gute Frage. Sehr gute Frage.
Natürlich strahle ich diese Showmaker-Larifari-Hinrotz-Energie aus. Aber nichtsdestotrotz ist da immer auch so viel von dir in jeder Figur. Und wenn es Kritik gibt, dann trifft die immer direkt. Wenn da steht: »Freddy war nicht emotional genug!«, dann meinen die: »Silvio hat es nicht gut genug gespielt.« Das reflektieren wir Darstellenden jeden Tag und sehen uns immer auch aus der dritten Person.
Ich bin mein größter Kritiker. Ich bewerte alles, was ich tue und sage. Ich bin deshalb auch nie hundertprozentig zufrieden. Ich weiß aber, dass es das für andere Blickwinkel – Publikum, Produzenten, Regisseure – nicht braucht. Ich sage immer, dass Stillstand der Tod ist. Wenn ich unzufrieden bin, dann überlege ich, woran es liegt. Manchmal ist es eine ganz simple Erklärung wie fehlende Konzentration. Manchmal nehme ich mir aber auch etwas zu sehr zu Herzen.
Insider für dich: Welche Freddy-Show hast du genau gesehen?
Die offizielle Premiere. War es vielleicht deine sechste oder siebte Show?
Ah okay, da war es schon ein bisschen besser. Aber zu Beginn habe ich mein zweites Solo, »Requiem«, sehr traurig gesungen. Weil die Verbindung zu »Ralphi« die zu einer zwischenmenschlichen Beziehung ist, die ich suche, aber auch die Verbindung zu meiner Familie. Da bin ich direkt viel zu emotional reingegangen. Deshalb wirkte der Monolog im Anschluss nicht mehr. Ich war zu lange auf demselben Level. Deshalb nehme ich den Song jetzt etwas positiver, als die Hommage an »Ralphi«. Und dann verknüpfe ich das mit meiner Familie: Es gibt keinen Himmel. Und wenn doch, sagt mir Bescheid.
Das meine ich mit Stillstand. Ich musste herausfinden, was das Problem war. Und dann habe ich es neu gemacht. Im Ensemble ist es dann eher ein Sportprogramm – vor allem für die Stimme. Es ist extrem anspruchsvoll geworden, musikalisch und choreografisch. Das ist cool, aber eben auch ein Prozess. Da muss ich vor allem Ausdauer aufbauen und mich dahingehend reflektieren, ob ich den langen Ton nach der Choreo noch halten kann, oder wie ich die Energie gut level. Dazu kommen konkrete Feedbacks bei Note-Sessions von den Kreativen. Das steht nie still.
Für mich steht fest, dass ich immer so nah wie möglich an den hundert Prozent kratzen möchte.
Wie ist das für dich, ganz alleine auf der Bühne zu stehen und zu performen. Ich hatte das Gefühl, es hat nicht nur Freddy, sondern auch Silvio berührt.
Ich war emotional – auch aus erwähnten Gründen. Aber ja, es macht was mit dir, wenn du da im Theater des Westens stehst zwischen den Vorhängen. Es geht nicht darum, dass ich da jeden Tag stehe, sondern es geht um diesen Moment. Ich wäre ein emotionsloses Objekt, würde mich das kalt lassen. Ähnlich ergeht es mir auch bei meinem ersten Solo, »Drei Minuten Held«. Es ist zweimal ein kleiner Ritterschlag, jedes Mal. Das kann mir keiner nehmen. Vor allem im Theater des Westens.
Bleiben wir mal bei dir als Darsteller. Was möchtest du, das man über dich mal sagt? Was man dir nachsagt?
Ich erinnere mich gut an das erste Interview, wo ich gesagt habe, dass Kunst wertgeschätzt werden muss. Dieser Meinung bin ich immer noch, aber die Frage geht ja jetzt anders.
»Ich bin nicht mehr bereit, Dinge zu verpassen, nur weil ich meinen Traum lebe. Ich will nicht mehr alles blind machen.«
Das hat es so an sich, wenn man mehrere Interviews gibt.
(lacht) Im konkreten Bezug auf mich sind es drei Punkte, auf die ich Wert lege.
Immer Vollgas – Silvio hat immer gerockt. Egal, ob richtig oder falsch, das spielt keine Rolle. Wenn falsch, dann mit Anlauf. Ich möchte außerdem ein positives Umfeld aufgebaut haben. Es wird so viel Schabernack in der Gesellschaft getrieben, mir ist wichtig, dass eine gute Ebene herrscht. Und das gepaart mit ganz viel Respekt. Nichts ist selbstverständlich, trotzdem ist alles möglich. Dass man sich sicher fühlt, egal was man tut. Wenn man mich damit erwähnt, wäre das schön.
Ich würde sagen, das ist sehr bodenständig, aber damit kann man ansetzen. Wenn der Boden fehlt, kannste es auch bleiben lassen.
Apropos Boden. Über welches Stück führen wir das nächste Interview?
Ich weiß noch nichts Konkretes. Es sind aber viele Gedanken in meinem Kopf groß geworden. Ich möchte mein Vollgas profilieren und zeigen. Aber ich sehne mich auch nach Lebensqualität, weil ich feststelle, dass ich sehr viele Einbrüche habe und Momente verpasse. Aufgrund meines Jobs, den ich liebe, aber die Waagschale kippt langsam. Ich bin nicht mehr bereit, acht Shows pro Woche zu spielen und deshalb Hochzeiten, Geburten und Feiertage zu verpassen – nur weil ich meinen Traum lebe. Ich will nicht mehr alles blind machen.
Gäbe es noch eine Rolle, für die du alles tun würdest?
Hahaha, ich hab Zeki Müller gespielt, was soll jetzt noch kommen? Na gut, Luigi Lucheni in »Elisabeth«, den würde ich gerne machen. Und ich war lange als Alexander Hamilton im Rennen, wurde dann leider nicht genommen, glaube aber immer noch, dass ich das sehr gut rappen und spielen könnte.
Ich würde mich aber zum Beispiel nie in London oder New York für eine Rolle bewerben.
Nicht?
Auf private Einladung schon, aber sonst nicht, Ich bin ein großer Verfechter davon, dass die Kultur im eigenen Land – und ich weiß, das ist Pandora’s Box – in der Regel von Darstellenden aus dem eigenen Land gespielt werden sollte. Und da rede ich nicht von der Herkunft, sondern ganz allein von der Sprache. Du weißt, was ich meine. Ich behaupte, dass mein Englisch sehr gut ist, aber ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, mich deshalb am Broadway zu bewerben.
Ich will niemanden bloßstellen, aber ich will in einem deutschsprachigen Stück verstehen, worum es geht. Und das hat nichts mit Rassismus zu tun, sondern nur mit einer Sprachverständlichkeit. Sogar wir Muttersprachler arbeiten an unserer Sprache. Ich finde, es gibt nichts Schlimmeres als in einem Stück zu sitzen, das du richtig fühlst und dann haut es dich raus – weil der Bass knallt, die Technik nicht geht, jemand privat wird. Das wird erwähnt, aber die Sprache könnte man vermeiden. Storytelling ist »telling«.
»Wir können nicht alles problematisieren, ohne es zu besprechen. Sonst weiß keiner, wie es mal war.«
Gibt es für dich auf einer Bühne Grenzen?
Wenn es gefährlich wird. Das kann ich so gar nicht pauschalisieren. Ich würde mich anzünden lassen, wenn ich das Gefühl habe, dass es sicher ist und oft geprobt wurde. Wäre es aber nicht safe, wäre das ein Punkt, an dem ich abbrechen würde. Und das fängt klein an. Wenn ich nicht imstande bin, in einen Split zu springen, dann werde ich es auch nicht riskieren, weil es um meine Gesundheit geht.
Aber prinzipiell gehe ich gerne sehr weit. Weil ich finde, dass wir das müssen. Es gibt so viele Themen – Feminismus, sexuelle Orientierung, Gewaltverherrlichung, Rassismus – die polarisieren. Auch das Thema Sprache, das war bei »Fack ju Göhte« sehr extrem. Es gab viele Fragen und Debatten, was wir sagen dürfen und was nicht. Ich finde das nicht immer gut, weil die Leute begreifen müssen, dass wir ein kontroverses Unterhaltungsmedium sind. Wenn wir etwas auf der Bühne nicht zeigen können, wo dann? Und das heißt nicht, dass ich privat so rede.
Ich glaube, das Problem ist, dass man das ab dem Punkt machen kann, wo Menschen verstanden haben, dass man zwischen Kunst und Privatperson trennen kann.
Exactly, da sind wir uns einig. Und gleichzeitig finde ich, dass man die Leute genau deshalb damit konfrontieren muss – gerne mit Infos, Triggerwarnungen und Nachgesprächen. Aber gerade junge Menschen müssen erfahren, wie es auch sein kann. Wir können nicht alles problematisieren, ohne es zu besprechen. Sonst weiß keiner, wie es mal war. Und ich denke, dass man da auch zur Aufklärung beitragen kann. Menschen müssen verstehen, dass das nicht die Realität ist.
Das ist ein hervorragendes Argument. Danke für diese gute Erklärung.
Ich bin ein eiserner Kämpfer gegen zweierlei Maß. Das geht für mich in keinster Weise. Wenn du das bei mir machst, bist du falsch. Und deshalb: Mehr Schimpfwörter bei Fack ju Göhte!
Eine letzte Frage …
Ja, frag mal.
Wie würdest du dich in drei Musicalsongs beschreiben?
Ähhh … puh.
Silvio putzt sich die Nase.
Schnaubt! Und ich nehme:
»Mut zur Tat« aus »Rudolf«, weil das für sich spricht. Man muss Mut zur Tat haben. Viele Steine legen unser Ego oder die Angst, die müssen da weg.
Dann »Hurricane« aus »Hamilton«, das ist eine private Komponente. Ich komme aus der Karibik, habe dort Familie verloren und es sind viele Brücken zu meiner Geschichte in dem Song. Nicht zwangsläufig am Hurrikan, aber die Verhältnisse dort sind nicht leicht. Ich habe eine große Bindung zu diesem Song. Das hat bei der Audition aber nichts gebracht, dass ich während des Songs geweint habe.
Und um noch eine sexuelle Komponente reinzunehmen, nehme ich noch »Drei Minuten Held« aus »Ku’Damm 59« (lacht).
Freddy impotent Donat, oder was? (lacht)
Drei Minuten geht.
Das nehme ich so auf, ja?
Klar.
In diesem Sinne: Danke für’s Gespräch.
Und bis zum nächsten Mal.
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